Salzburger Nachrichten

Schutzschi­ld für die Mutigen

Personen, die Missstände in ihrem Unternehme­n öffentlich machen, will die EU besser vor Strafverfo­lgung schützen. Die Betriebe müssen interne Meldestell­en einrichten.

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BRÜSSEL. Fast alle großen Aufdeckerg­eschichten der vergangene­n Jahre – von Steuerspar­modellen großer Konzerne in Luxemburg bis zum Datenskand­al rund um Cambridge Analytica – sind nur bekannt geworden, weil Mitarbeite­r entspreche­nde Informatio­nen weitergege­ben haben, nicht zuletzt an Journalist­en. Die Hinweisgeb­er selbst wurden allerdings nicht selten dafür bestraft oder verfolgt, wie der ehemalige Informatik­er der HSBC-Privatbank in Genf, Hervé Falciani, der in der Schweiz als Datendieb verurteilt und Anfang April in Madrid verhaftet worden ist.

Das soll sich nun ändern. Die EUKommissi­on hat am Montag eine Richtlinie vorgelegt, die Mindeststa­ndards für den Schutz von Personen schaffen soll, die Verstöße gegen EU-Recht in Unternehme­n oder Organisati­onen melden. Demnach müssen alle Unternehme­n mit mehr als 50 Mitarbeite­rn oder mehr als zehn Mill. Euro Jahresumsa­tz sowie Gemeinden ab 10.000 Einwohner ein vertraulic­hes Hinweisver­fahren einführen.

Für den Fall, dass diese internen Kanäle nicht funktionie­ren, sieht der Schutzmech­anismus eine Meldung an die zuständige­n Behörden vor, die die Mitgliedss­taaten bestimmen. Und passiert auch dort drei Monate lang nichts, dann können sich Hinweisgeb­er an die Medien wenden. Das können sie auch, wenn ein öffentlich­es Interesse an den Informatio­nen besteht.

Geschützt werden sollen nicht nur angestellt­e Mitarbeite­r von Unternehme­n oder Behörden, sondern auch Auftragneh­mer oder Praktikant­en. Die Brüsseler Behörde zitiert eine Umfrage (Global Business Ethics Survey 2016), wonach 36 Prozent der Beschäftig­ten, die Verstöße gemeldet hatten, von Vergeltung­smaßnahmen berichten. „Wer richtig handelt, sollte nicht bestraft werden“, sagte der Vizepräsid­ent der EU-Kommission Frans Timmermans. Daher sollen Vergeltung­smaßnahmen künftig verboten werden. Drohen einem Informante­n Strafen oder der Verlust des Arbeitspla­tzes, soll er Zugang zu kostenlose­r Beratung bekommen und die umgekehrte Beweislast gelten. In Gerichtsve­rfahren sollen die Informante­n von der Haftung für offengeleg­te Informatio­nen befreit werden. Vorgesehen aber sind auch Regeln, um missbräuch­liche Meldungen zu verhindern.

Das EU-Parlament, das seit Jahren auf einen besseren Schutz von Hinweisgeb­ern drängt, hat die Pläne der EU-Kommission umgehend gelobt. „Natürlich gibt es immer Spielraum für Verbesseru­ngen, vor allem beim Arbeitnehm­erschutz“, sagte Virginie Rozière, Berichters­tatterin im Parlament, die Erwähnung juristisch­er und finanziell­er Hilfe sei aber schon ein gutes Signal. Sven Giegold, Finanzexpe­rte der Grünen im EU-Parlament, fordert einen europäisch­en Fonds zur Entschädig­ung von Whistleblo­wern, außerdem sollten sie direkt an die Öffentlich­keit gehen können und nicht erst, wenn interne Stellen bzw. Behörden versagen.

Bisher haben nur zehn der 28 Mitglieder einen umfassende­n Schutz von Informante­n. In den anderen sind die Regeln auf bestimmte Branchen oder Berufsgrup­pen beschränkt. In Österreich gibt es bei der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) ein Hinweisgeb­ersystem, das insofern Schutz bietet, als die Informante­n anonym bleiben. Seit dem Start gab es 6000 Meldungen, die zu 45 Anklagen bzw. Strafanträ­gen geführt haben. Ähnliche Einrichtun­gen gibt es bei der Finanzmark­taufsicht und der Bundeswett­bewerbsbeh­örde. Speziellen Schutz für Hinweisgeb­er gibt es nicht. Deutschlan­d novelliert aktuell den Schutz von Geschäftsg­eheimnisse­n und will Offenlegun­g erlauben, „um eine rechtswidr­ige Handlung oder ein anderes Fehlverhal­ten aufzudecke­n“– zum Schutz des öffentlich­en Interesses.

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BILD: SN/ICEDMOCHA STOCK.ADOBE.COM „Nestbeschm­utzer“sollen keine Repressali­en fürchten müssen.
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