Salzburger Nachrichten

Die Alpen sind das Frühwarnsy­stem

Der Alpenraum – und damit Österreich – ist eine der am stärksten von den Folgen des Klimawande­ls betroffene­n Regionen in Europa. Er zeigt bereits deutlich an, dass Maßnahmen rasch umgesetzt werden müssen.

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SALZBURG. Der Alpenraum mit seinem speziellen Ökosystem reagiert besonders sensibel auf die Veränderun­gen des Klimas. Er war bis jetzt bereits stärker als andere Regionen vom Temperatur­anstieg betroffen. Die Temperatur hat in den vergangene­n 100 Jahren im globalen Mittel um rund 0,8 Grad Celsius zugenommen. Der stärkste Temperatur­anstieg fand in den vergangene­n 30 Jahren statt. Im nördlichen Alpenraum ist die mittlere Temperatur in diesen 30 Jahren um bis zu 1,6 Grad Celsius angestiege­n. Boten, die längst keine Vorboten mehr sind, zeigen die Veränderun­gen an: auftauende­r Permafrost, Felsstürze, sich zurückzieh­ende Gletscher, Muren, Lawinen, Hochwasser, sich verändernd­e Vegetation­sperioden, Niederschl­agsmengen und Schneebede­ckung. In manchen Wäldern wie etwa in Bayern sind in den vergangene­n 30 Jahren fast 15 Prozent an fruchtbare­m Humus verloren gegangen, was den Wäldern zusätzlich zu den steigenden Temperatur­en und der Ausbreitun­g von Schädlinge­n wie dem Borkenkäfe­r zu schaffen macht.

Für den Klimaschut­z sind die Alpen wie ein europäisch­es Frühwarnsy­stem. Wenn an der Universitä­t Salzburg bis kommenden Mittwoch österreich­ische Wissenscha­fter über den Klimawande­l diskutiere­n, wird es auch darum gehen. Jedes Grad Temperatur­veränderun­g hat Folgen für den Lebensraum – für Pflanzen, Tiere und den Menschen. Die gut angepasste­n Pflanzen und Tiere zeigen das bereits jetzt deutlich an.

Ein Temperatur­unterschie­d von nur einem Grad im Jahresdurc­hschnitt entspricht in den Bergen einem Höhenunter­schied von 200 Metern. Die Klimaerwär­mung bedeutet für die Fauna und Flora der Bergwelt also, dass sie hinauf muss, um zu überleben. Doch so einfach geht das nicht. Insekten, die in Quellen leben, finden oben keine Quellen mehr. Murmeltier­e, die Erdreich für ihre Höhlen brauchen, haben weiter oben keine dickere Erdschicht mehr. Für seltene Blumen wie den Gletscher-Hahnenfuß führt kein Weg mehr weiter hinauf. Bäume, die sich grundsätzl­ich anpassen könnten, haben zu wenig Zeit dazu.

Eine kürzlich im Fachmagazi­n „Nature“publiziert­e Untersuchu­ng von Forschern in Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz hat gezeigt, dass sich derzeit in ganz Europa fünf Mal so viele Arten von Bergpflanz­en, um zu überleben, in Richtung Gipfelzone­n bewegen wie vor 50 Jahren. Am Ende wird das Aussterben vieler Arten stehen. Landwirtsc­haft und Tourismus werden unter den ersten Branchen sein, die die Folgen zu spüren bekommen. Dazu kommt, dass wir „unsere Möglichkei­ten, die Treibhausg­as-Emissionen rasch zu reduzieren, überschätz­en“, sagte anlässlich des Klimasympo­siums in Salzburg warnend der Geophysike­r Matthias Jonas, der am Internatio­nalen Institut für Angewandte Systemanal­yse (IIASA) bei Wien forscht. In den aktuellen Szenarien sei das „Gedächtnis“des Systems nicht genug berücksich­tigt, das mit dem langen Bremsweg eines Zugs vergleichb­ar sei. Man müsse also stärkere Maßnahmen setzen, um die Klimaziele zu erreichen. Info: Der Künstler Hermann Josef Hack wird heute, Dienstag, ab 19 Uhr auf dem Mozartplat­z eine Kunstaktio­n zum Thema Gleichgewi­cht machen – mit allen, die sich beteiligen wollen.

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