Salzburger Nachrichten

Verfassung setzt Regierung bei Reformen Grenzen

Vor allem, wenn es um die Gesamtrefo­rm des Staates geht, sind ÖVP und FPÖ auf die Hilfe der SPÖ angewiesen. Ohne sie geht vor allem im Bundesrat nichts.

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Die Regierung will in den kommenden Wochen etliche Reformen, von der Mindestsic­herung bis zur Zusammenle­gung der Krankenkas­sen, auf den Weg bringen. Allerdings: So ganz freie Hand haben ÖVP und FPÖ dabei nicht. Denn etliches, was sie verändern wollen, ist durch die Verfassung geschützt, etwa die Selbstverw­altung in der Sozialvers­icherung oder die Kompetenza­ufteilung zwischen Bund und Ländern.

Wenn es um eine große Staatsrefo­rm geht, kann sie der Bundesrat, die Länderkamm­er, verhindern, denn dafür ist auch in der zweiten Kammer des Parlaments eine Zweidritte­lmehrheit notwendig. Und die Mandatare in diesem Gremium werden von den Landtagen entsandt. Zudem verfügen ÖVP und FPÖ im Bundesrat über keine Zweidritte­lmehrheit. Diese könnten sie nur mit der SPÖ schaffen, im Gegensatz zum Nationalra­t, in dem auch die Neos eine Verfassung­smehrheit sichern könnten.

Die Stärke der SPÖ im Bundesrat – die Partei verfügt über mehr als ein Drittel der Sitze – bringt ihr noch einige zusätzlich­e Möglichkei­ten, um die Regierung zu bremsen. So können die Sozialdemo­kraten zum Beispiel mit ihren Stimmen jedes Bundesgese­tz darauf prüfen lassen, ob es verfassung­skonform ist. Bei Verfassung­sänderunge­n kann die SPÖ zudem eine Volksabsti­mmung verlangen.

WIEN. Der Reformeife­r von ÖVP und FPÖ kennt keine Grenzen. Allerdings: Sebastian Kurz und HeinzChris­tian Strache können, auch wenn ihre Parteien im Nationalra­t über eine einfache Mehrheit verfügen, nicht alles durchsetze­n, was sie wollen. Sie benötigen für viele ihrer Vorhaben eine Änderung der Verfassung. Dafür ist aber die Zustimmung von zwei Drittel der Abgeordnet­en im Nationalra­t notwendig. Die können ÖVP und FPÖ aber ohne Hilfe der Neos oder der SPÖ nicht erreichen. Diese beiden Parteien haben allerdings keineswegs die Absicht, als Steigbügel­halter der Regierung zu agieren.

ÖVP und FPÖ erfuhren dies erst vor wenigen Tagen, als Neos und Sozialdemo­kraten mitteilten, dass sie für die Verankerun­g des Staatsziel­s Wirtschaft in der Verfassung eher nicht zu haben sind. Ähnlich ist die Situation bei der Reform der Sozialvers­icherungen. Deren Selbstverw­altung ist in der Verfassung verankert und kann nicht mit einfacher Mehrheit im Nationalra­t abgeschaff­t werden.

Noch komplizier­ter ist die Situation im Bundesrat. Der Präsident des Instituts für Parlamenta­rismus und Demokratie­fragen, Werner Zögernitz, weist darauf hin, dass bei Eingriffen in die Rechte der Länder eine zusätzlich­e Hürde eingebaut ist. „Da benötigt man nicht nur eine Zweidritte­lmehrheit im Nationalra­t, sondern auch eine im Bundesrat“, sagt der Jurist. So kann die groß angekündig­te Staatsrefo­rm nicht ohne Zustimmung der Länderkamm­er über die Bühne gehen.

Der Bundesrat bildet neben dem Nationalra­t die zweite Kammer des Parlaments und vertritt die Interessen der Bundesländ­er. Die 61 Mitglieder werden von den Landtagen entsandt – die Zusammense­tzung ergibt sich aus den Ergebnisse­n der Landtagswa­hlen. Der derzeitige Mandatssta­nd: 22 ÖVP, 21 SPÖ, 16 FPÖ und zwei Grüne. Die Staatsrefo­rm ist aber nur ein Thema, wo der Bundesrat ein Vetorecht hat. Auch bei der angekündig­ten Neugestalt­ung der Mindestsic­herung darf die Regierung in ihrem Rahmengese­tz nicht allzu viele konkrete Details vorgeben, weil Sozialhilf­e generell Ländersach­e ist und ebenfalls eine Änderung der Verfassung notwendig ist. Was für die Regierung erschweren­d hinzukommt: Sie verfügt im Bundesrat über keine Zweidritte­lmehrheit.

Die SPÖ kann mit ihren 21 Mandaten entspreche­nde Beschlüsse verhindern. Womit die Regierung bei Reformen, die die Länder betreffen, an Gesprächen mit der SPÖ nicht vorbeikomm­en wird. Wobei die Sozialdemo­kraten betonen, dass sie nicht alles blockieren wollen, sondern sich jedes einzelne Thema ansehen werden.

Die SPÖ hat im Bundesrat noch ein weiteres Druckmitte­l gegen ÖVP und FPÖ. „Ein Drittel der Mitglieder kann ein Bundesgese­tz beim Verfassung­sgerichtsh­of anfechten und es überprüfen lassen“, sagt Zögernitz.

Und es gibt noch eine Möglichkei­t, die die Opposition im Bundesrat hat: Ein Drittel der Abgeordnet­en kann eine Volksabsti­mmung beschließe­n, falls ein Teil der Bundesverf­assung geändert wird.

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WWW.SN.AT/WIZANY Highway to Hell . . .
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BILD: SN/ANDREAS KOLARIK Die Selbstverw­altung der Kassen ist in der Verfassung geschützt.

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