Das Gezerre um das nächste EU-Budget
Sich auf den mittelfristigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 für die Europäische Union zu einigen wird ein mehr als schwieriger Balanceakt.
Im Mai muss die EU-Kommission dem Rat den Vorschlag zum mittelfristigen Finanzrahmen 2021–2027 unterbreiten. Spätestens dann beginnt das große Hauen, Stechen und Täuschen. Am Ende stimmen erfahrungsgemäß alle Mitgliedsstaaten minimalen Veränderungen zu. Diesmal könnte es schwieriger werden, dafür sind zumindest drei Gründe ausschlaggebend:
Erstens verursacht der Brexit neben vielen anderen Problemen ein beachtliches Budgetloch, mindestens 13 Mrd. Euro pro Jahr, in sieben Jahren damit mehr als 90 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Die gesamten Verwaltungskosten der EU für 2014–2020 machen 65 Mrd. Euro aus.
Zweitens warten auf die EU große Aufgaben, die ohne zusätzliche Mittel nicht zu bewältigen sind. Das beginnt mit geänderten geopolitischen Rahmenbedingungen, Stichworte sind Ukraine, Naher Osten, Migration, Sicherung der Außengrenzen, Terrorismus, Cyberkriminalität und vieles mehr. Aber auch in der eigentlichen Wirtschaftspolitik muss sich die EU neuen Herausforderungen stellen. Nach wie vor ist die Jugendarbeitslosigkeit zu hoch. Und um die Forschungsquote von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen, braucht es zusätzliche Mittel ebenso wie für den Ausbau der transeuropäischen Infrastruktur. Das bedarf mindestens zusätzlicher 100 Mrd. Euro.
Drittens geht es um Fragen der Konditionalität und Rechtsstaatlichkeit: Sollen grobe Verstöße gegen den EU-Vertrag durch Kürzungen von Mitteln geahndet werden? Die Nettozahler haben immer weniger Verständnis dafür, dass zig Milliarden an Mitgliedsstaaten überwiesen werden, deren Regierungen gleichzeitig gegen die EU agitieren, Vertragsbestimmungen gröblich verletzen oder Milliarden an Förderungen in dunkle Kanäle versickern lassen, wie jüngste Beispiele aus Polen und Ungarn zeigen.
Die Budgetlücke 2021–27 aufgrund von Mindereinnahmen (Brexit) und zusätzlichen Aufgaben beträgt daher rund 200 Mrd. Euro. Die EUKommission beziffert das Einsparungsvolumen mit 100 Mrd. Euro, das sind, gemessen am jetzigen Finanzrahmen, immerhin fast zehn Prozent. Daran könnte sich so mancher Mitgliedsstaat ein Beispiel nehmen. Angesichts der noch immer fehlenden 100 Mrd. Euro sind Kürzungen bei der Verwaltung nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Erstaunlich ist, dass jene, die am lautstärksten mehr Mittel für Außenschutz und Sicherheit verlangen, am heftigsten gegen mehr Beiträge votieren. 100 Mrd. Euro für sieben Jahre sind gemessen am EU-BIP nicht einmal 0,1 Prozent. Warum diese harte Rhetorik?
Populismus ist ein Grund. Ein anderer, dass Mitgliedsstaaten immer nur den Saldo sehen, also wie viel sie zahlen und wie viel sie bekommen. Ökonomisch ist das unrichtig. Denn das EU-Budget schafft eben auch einen europäischen Mehrwert, und in welchem Ausmaß ein Land davon profitiert, richtet sich nicht nach seinen Nettozahlungen. Beispiel: Ob ein Land viel oder wenig von der gemeinsamen Forschungspolitik profitiert, hängt weder von seiner Größe noch seiner Nettozahlerposition ab. So profitiert(e) Österreichs Wirtschaft indirekt auch von EU-Fördergeldern nach Osteuropa; denn gestiegener Wohlstand dort bedeutet mehr Exportchancen für Österreich.
Marianne Kager war fast 20 Jahre Chefökonomin der Bank Austria. Heute ist sie selbstständige Beraterin.
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