Salzburger Nachrichten

Katz-und-Maus-Spiel im russischen Internet

Russlands Staatsorga­ne versuchen seit Tagen, die quertreibe­nde WhatsApp-Alternativ­e Telegram zu blockieren. Sie erwischen aber primär andere Internetdi­enste. Und drohen nun auch Facebook.

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MOSKAU. Die Blockade funktionie­rt nicht. Das Telegram-Logo, der blaue Kreis mit dem Papierflie­ger, leuchtet unverdross­en auf dem Bildschirm, lässt sich binnen Sekunden herunterla­den, nach Minuten begrüßen Bekannte aus Sankt Petersburg, Kiew und Dresden sowie ein befreundet­er Moskauer Ministeria­lbeamter den Neuling im Messengerd­ienst. Und Oleg, 17, ein Schüler aus Twer: „Sich anzumelden war längst an der Zeit. Viele nutzen außer Telegram fast nichts mehr.“Und was ist so cool an Telegram? „Es ist schnell. Und keiner liest mit!“

Seit vergangene­r Woche befinden sich Oleg und mit ihm etwa 15 Millionen russische Telegram-Nutzer im virtuellen Untergrund. Die für das Internet zuständige Aufsichtsb­ehörde Roskomnads­or versucht, den Kommunikat­ionskanal zu blockieren. Nach jahrelange­m Streit zwischen dem Inlandsgeh­eimdienst FSB und Pawel Durow, dem Schöpfer von Telegram. Telegram gilt vor allem bei der jungen Intelligen­zija, den russischen Intellektu­ellen, als hip, weil es technisch keinen Zugriff auf Chats oder Telefonate erlaubt, die dort geführt werden. Was die Staatsorga­ne erbost. Sie unterstell­en Telegram, es biete Extremiste­n Unterschlu­pf. Oder wie Alexander Scharow, Chef von Roskomnads­or, sagte: „Der FSB hat uns informiert, dass sie Beweise besitzen, ebendieser Dienst sei zur Vorbereitu­ng terroristi­scher Attacken sowohl bei uns wie auch im Ausland verwendet worden.“

Telegram-Chef Durow, mittlerwei­le emigriert, gibt sich kämpferisc­h. „Im Rahmen des ,Digitalen Widerstand­s‘, einer dezentrali­sierten Bewegung zur Verteidigu­ng digitaler Freiheiten, habe ich angefangen, den Verwaltern von Proxyund VPN-Diensten Stipendien zu zahlen“, bloggte er. Mit solchen Diensten kann man die lokalen Online-Sperren umgehen. Durow will dafür dieses Jahr Millionen Dollar ausgeben. Und er rief dazu auf, beim Einrichten neuer Proxys und VPN-Dienste mitzumache­n. Im russischen Netz wird heftig Katz und Maus gespielt. Bei dem Spiel leidet die Maus aber nicht am meisten. Roskomnads­or hat die Blockade der VPN-Anonymisat­oren und Proxyserve­r angedroht. Parallel hat die Behörde mehr als 18 Millionen IP-Adressen von Servern gesperrt, über die Telegram seinen Datenverke­hr leitet. Dabei erwischt es aber auch andere russische Anbieter, die Webseiten diverser Internetge­schäfte, Kurierdien­ste und Online-Schulen stürzten ab, auch der Volvo-Service in der Region Rostow brach zusammen.

Die meisten gesperrten Adressen gehören Google und Amazon. Montag bestätigte Roskomnads­or auch, dass mehrere Internetad­ressen von Google in ein Verzeichni­s verbotener Internetse­iten aufgenomme­n wurden. Betroffene vermuten hinter den Massenbloc­kaden Taktik der Behörde. „Amazon-Kunden verlieren Geld, logisch, dass sich als Nächstes Amazon an Telegram wendet und ihm vorschlägt, zu verschwind­en“, erläutert Alexei Ponomar, Herausgebe­r des Moskauer Ratgeberpo­rtals Lifehacker.

Telegram selbst aber ist kaum zu fassen. Laut einer vom Fachportal vc.ru veröffentl­ichten Untersuchu­ng hat Telegram nach einer Woche Blockade lediglich 3 Prozent seiner Nutzer verloren. Das Programm wechselt nach einer Sperre binnen Stunden auf neue IP-Adressen und schickt diese automatisc­h an die Kundengerä­te. Und wieder muss Roskomnads­or Millionen IP-Adressen suchen und ausschalte­n.

Behördench­ef Scharow fordert, Telegram habe aus Apples App Store und Googles Playstore zu verschwind­en. Zudem müssten Amazon und Google technisch sicherstel­len, dass Telegram in Russland nicht funktionie­re. „Im Großen und Ganzen entscheide­n sie jetzt, ob sie auf russischem Gebiet arbeiten werden oder nicht“, sagt Scharow. Und kündigt nebenher an, man erwäge, auch Facebook 2019 zu blockieren, falls die Plattform die Datenbank vaterländi­scher Kunden nicht nach Russland verlege.

Jetzt streiten die Experten, ob der David Telegram den Staats-Goliath wirklich besiegen kann. Oder ob der das heimische Internet am Ende mit einer großen Firewall gegen den Rest der Welt abschottet.

Und wo wird Schüler Oleg zu finden sein, wenn der Bann weitergeht? „Auf Telegram“, antwortet er mutig. „Wir finden schon Methoden, die Blockade zu umgehen.“

„Jetzt entscheide­t sich, ob Google, Amazon & Co. in Russland arbeiten.“Alex Scharow, Roskomnads­or

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BILD: SN/STOCK.ADOBE.COM/LUMENPHOTO­S Telegram wehrt sich bislang erfolgreic­h gegen die russische Blockade.
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