Die Regierung setzt auf Tempo
Der Kanzler will „nicht warten“– dabei geht manches sogar dem Vizekanzler zu schnell.
HELMUT SCHLIESSELBERGER
WIEN. Am Beginn der ersten schwarz-blauen Koalition anno 2000 machte der damalige ÖVPKlubchef Andreas Khol mit der Ansage „Speed kills“Furore. Das Tempo der Reformen sollte den oft bremsenden intensiven Dialog mit den Betroffenen unnötig machen.
Gerade bei der Sozialversicherung, dem ÖGB und der Arbeiterkammer dürfte man sich am Dienstag bei der Vorstellung des weiteren Reform-Stakkatos der Bundesregierung an die forsche Geschwindigkeitsvorgabe von „Schwarz-Blau 1“erinnert haben. Aber nicht nur dort: Selbst Vizekanzler Heinz-Christian Strache war am Dienstag offenbar überrascht vom Tempo der Reformen, die er eigentlich gerade hätte vorstellen sollen. Es werde einen „entsprechenden Ministerratsvortrag zur Reform der Sozialversicherungen geben – und zwar in der ersten …“– dann zweifelte offenbar sogar Strache am Reformtempo der Regierung. Er geriet heftig ins Stocken und musste sich von Kanzler Sebastian Kurz „Maihälfte“einsagen lassen. Strache gab sich gelinde überrascht: „Erste Maihälfte – schon? Ich hab’ erst Anfang Juni damit gerechnet.“
Die heimischen Soziallandesräte rechneten bei einem anderen Reformthema sogar mit Ende Juni. Denn bis dahin sollten sie laut einer Vereinbarung mit der Sozialministerin einen Vorschlag zur bundes- einheitlichen Mindestsicherung erarbeiten. Nun dürfen sich die Länder nur mehr im Gesetzesbegutachtungsverfahren einbringen. Die Vorsitzende der Sozialreferentenkonferenz, die steirische Landesrätin Doris Kampus (SPÖ), zeigte sich wie die anderen roten und grünen Soziallandesrätinnen über das Vorgehen der Regierung bei der Mindestsicherung entsetzt. Kampus sprach von „Desavouierung“und „Wortbruch“. Die Bundesländer seien offenbar nichts mehr wert.
Der Grund der Aufregung: Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache hatten am Dienstag in einem kurzfristig einberufenen Pressegespräch ihre „drei großen Reformprojekte“bis zum Sommer vorgestellt:
Mindestsicherung
„Ich sag’ ganz klar, so lange wollen wir nicht warten.“Mit diesen ungeduldigen Worten erteilte Sebastian Kurz der Vereinbarung seiner Sozialministerin mit den Sozialreferenten in Sachen Mindestsicherung eine Absage. „Wir werden in der ersten Juniwoche einen Gesetzestext präsentieren und in Begutachtung schicken.“Kurz und Strache betonten beide, dass die Länder in der Begutachtung gehört würden. Auf Details der geplanten Vereinheitlichung gingen beide nicht ein.
Doch Kurz und Strache verwiesen auf die „ungerechte Situation, dass Menschen, die noch nie in unser System eingezahlt haben, genauso viel bekommen wie andere, die sehr lange gearbeitet haben“. Die Mindestsicherung koste eine Milliarde Euro im Jahr, die 60-prozentige Steigerung seit 2012 sei vor allem auf Neuzuwanderer zurückzuführen, betonte Kurz. Strache machte klar, dass das Ziel sei, den Zuzug ins österreichische Sozialsystem zu reduzieren. Er sprach von einem Stufenplan mit deutlicher Reduktion der Bargeldleistungen und zusätzlichen Sachleistungen.
Sozialversicherung
Die 21 Sozialversicherungsträger will die Regierung zu maximal fünf Kassen zusammenführen. „Wir sind angetreten mit dem Ziel, im System zu sparen, damit bei den Menschen mehr ankommt.“Ambitioniertes Ziel: Der Gesetzesvorschlag soll bereits in der ersten Maihälfte vorliegen. Details im Hinblick auf damit verbundene Leistungsanpassungen und neue Strukturen der Gremien ließen sich Kurz und Strache nicht entlocken. Kurz wies mehrmals darauf hin, dass er die Selbstverwaltung positiv sehe, betonte aber auch, dass es über 1000 Funktionäre mit zahlreichen Privilegien gebe, „die es in Österreich nicht braucht“.
Verwaltungsreform
Bereits heute, Mittwoch, wird es im Ministerrat einen Begutachtungsentwurf für eine Verfahrensbeschleunigung geben (siehe auch Seite 2). Die Rechtsbereinigung werde gerade von Reformminister Josef Moser finalisiert, erklärte der Kanzler. Die übrigen geplanten Verwaltungsreformmaßnahmen sollen bis zum Sommer beschlossen werden. Schließlich sei die Regierung mit dem Ziel angetreten, gegen „überbordende Regulierung“zu kämpfen und wieder „mehr Freiräume“zu schaffen.