Sebastian K., junger Kanzler in Eile
Warum die neue Regierung so aufs Tempo drückt und so viel gleichzeitig erledigen will.
Mindestsicherung, Überwachungspaket, Zwölfstundentag, Sozialversicherungsreform, Bürokratieabbau, Asylverschärfung, Staatsumbau – die Vorhaben, mit denen sich Bundeskanzler Kurz und seine Regierung beschäftigen, sind von verwirrender Fülle.
Das erinnert stark an die erste schwarz-blaue Koalition, die im Jahr 2000 mit ihrer „Reform der Woche“ein ähnlich hohes Reformtempo anschlug. Damals lag der Grund darin, dass die umstrittene Regierung angesichts der Widerstände und EU-Sanktionen nicht wusste, wie lange sie sich im Amt würde halten können. Daher beeilte sie sich.
Heute muss sich die Regierung weniger Sorgen um ihren Bestand machen, denn eine nennenswerte Opposition gegen sie existiert nicht. Dennoch drückt sie aufs Tempo. Das hat mehrere Gründe.
Erstens passiert in unserem gemütlichen Land erfahrungsgemäß nichts, wenn nicht ein gewisser Reformund Zeitdruck erzeugt wird.
Zweitens ist der Reformstau nach zehn Jahren Großer Koalition beträchtlich. Eine Regierung, die Probleme anpackt, kann daher mit dem Wohlwollen der Bevölkerung rechnen. Zumindest vorerst.
Drittens bietet das gleichzeitige Beackern mehrerer Reformfelder einen taktischen Vorteil: Die Reformgegner kommen gar nicht richtig dazu, gegen ein Vorhaben mobilzumachen, denn die Regierung ist schon beim nächsten. Bei der Großen Koalition war das anders. Sie ging so langsam zu Werke, dass noch der letzte Bedenkenträger ausreichend Zeit fand, um vor diesem oder jenem Detail zu warnen, was jede Reform verlässlich versanden ließ.
Viertens hat das Reform-Stakkato für den Chef der Regierung auch einen persönlichen Vorteil. Wenn er seine Minister mit Arbeit eindeckt, haben sie keine Zeit, um auf dumme Gedanken zu kommen.
Klarerweise hat das hohe Tempo auch einen Nachteil. In der Eile – auch das hat man in der Zeit der ersten schwarz-blauen Koalition gesehen – passieren Fehler. Reformen laufen dann Gefahr, einer Überprüfung durch das Höchstgericht nicht standzuhalten und überarbeitet werden zu müssen.
Eine letzte Lehre aus den Wendejahren lautet, dass die unruhige Reformperiode nicht zu lange dauern darf. Irgendwann reicht es den Bürgern und sie haben es satt, dass – wie es damals ein hochrangiger ÖVP-Politiker unschön ausdrückte – „jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird“. Irgendwann will die Bevölkerung die Erfolge all der mühsamen Reformen sehen und vor allem ernten.