Salzburger Nachrichten

Sebastian K., junger Kanzler in Eile

Warum die neue Regierung so aufs Tempo drückt und so viel gleichzeit­ig erledigen will.

- Alexander Purger ALEXANDER.PURGER@SN.AT

Mindestsic­herung, Überwachun­gspaket, Zwölfstund­entag, Sozialvers­icherungsr­eform, Bürokratie­abbau, Asylversch­ärfung, Staatsumba­u – die Vorhaben, mit denen sich Bundeskanz­ler Kurz und seine Regierung beschäftig­en, sind von verwirrend­er Fülle.

Das erinnert stark an die erste schwarz-blaue Koalition, die im Jahr 2000 mit ihrer „Reform der Woche“ein ähnlich hohes Reformtemp­o anschlug. Damals lag der Grund darin, dass die umstritten­e Regierung angesichts der Widerständ­e und EU-Sanktionen nicht wusste, wie lange sie sich im Amt würde halten können. Daher beeilte sie sich.

Heute muss sich die Regierung weniger Sorgen um ihren Bestand machen, denn eine nennenswer­te Opposition gegen sie existiert nicht. Dennoch drückt sie aufs Tempo. Das hat mehrere Gründe.

Erstens passiert in unserem gemütliche­n Land erfahrungs­gemäß nichts, wenn nicht ein gewisser Reformund Zeitdruck erzeugt wird.

Zweitens ist der Reformstau nach zehn Jahren Großer Koalition beträchtli­ch. Eine Regierung, die Probleme anpackt, kann daher mit dem Wohlwollen der Bevölkerun­g rechnen. Zumindest vorerst.

Drittens bietet das gleichzeit­ige Beackern mehrerer Reformfeld­er einen taktischen Vorteil: Die Reformgegn­er kommen gar nicht richtig dazu, gegen ein Vorhaben mobilzumac­hen, denn die Regierung ist schon beim nächsten. Bei der Großen Koalition war das anders. Sie ging so langsam zu Werke, dass noch der letzte Bedenkentr­äger ausreichen­d Zeit fand, um vor diesem oder jenem Detail zu warnen, was jede Reform verlässlic­h versanden ließ.

Viertens hat das Reform-Stakkato für den Chef der Regierung auch einen persönlich­en Vorteil. Wenn er seine Minister mit Arbeit eindeckt, haben sie keine Zeit, um auf dumme Gedanken zu kommen.

Klarerweis­e hat das hohe Tempo auch einen Nachteil. In der Eile – auch das hat man in der Zeit der ersten schwarz-blauen Koalition gesehen – passieren Fehler. Reformen laufen dann Gefahr, einer Überprüfun­g durch das Höchstgeri­cht nicht standzuhal­ten und überarbeit­et werden zu müssen.

Eine letzte Lehre aus den Wendejahre­n lautet, dass die unruhige Reformperi­ode nicht zu lange dauern darf. Irgendwann reicht es den Bürgern und sie haben es satt, dass – wie es damals ein hochrangig­er ÖVP-Politiker unschön ausdrückte – „jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird“. Irgendwann will die Bevölkerun­g die Erfolge all der mühsamen Reformen sehen und vor allem ernten.

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