Assad raubt den Besitz vieler Syrer
Das „Gesetz Nummer 10“ermöglicht die Enteignung von mehr als sechs Millionen Syrern und damit eine „demografische Neuordnung“. Die Rückkehr von Flüchtlingen wird drastisch erschwert.
„Alle Syrer, die das Regime kritisch sehen, sollen enteignet werden.“Michel Chammas, Anwalt
DAMASKUS. Als Ahmed Itani im Dezember 2016 sein Haus im Osten von Aleppo verlassen musste, wusste er, dass er „es niemals wieder betreten würde“. „Ich hatte daher das Gebäude in Brand gesteckt, damit kein anderer darin wohnen konnte“, erzählt der 26-jährige Syrer verbittert. Ahmed lebt inzwischen in einem mit Plastikplanen abgedichteten Rohbau in der libanesischen Ortschaft Madschel Anjar. Bis zur syrischen Grenze sind es drei, bis nach Damaskus 42 Kilometer. „In meine Heimat“, sagt Ahmed, „kann ich erst nach dem Sturz von Präsident Baschar al-Assad zurück.“
Nach dem Fall der letzten großen Rebellenhochburgen in Ost-Ghouta hat die Regierung ein „Raumordnungsgesetz“erlassen, welches bei konsequenter Anwendung die „demografische Neuordnung“des Landes ermöglicht.
In dem „Gesetz Nummer 10“werden alle syrischen Staatsbürger aufgefordert, ihre Häuser, Wohnungen und Grundstücke innerhalb von 30 Tagen mit einem Grundbuchauszug bei den zuständigen Behörden persönlich oder durch Verwandte registrieren zu lassen. Nach dem Ablauf der 30-Tage-Frist sollen die nicht registrierten Besitztümer „versteigert“werden. Als Bieter zulassen will man ausschließlich loyale Bürger sowie den syrischen Staat, dem es „in Wirklichkeit um die Enteignung aller Syrer geht, welche dem Regime kritisch oder ablehnend gegenüberstehen“, erklärt der syrische Menschenrechtsanwalt Michel Chammas.
Wutentbrannt erinnert er daran, dass mehr als sechs Millionen Syrer ins Ausland geflüchtet und weitere zwei Millionen Syrer in Syrien selbst auf der Flucht sind. Für die meisten von ihnen sei eine Registrierung in der 30-Tage-Frist, die am 2. Mai abläuft, schon aus Zeitgründen unmöglich. Zudem fürchteten fast alle Flüchtlinge, bei ihrer Rückkehr vom Regime verhaftet zu werden. „Wir wissen“, betont Chammas, „dass auf den Fahndungslisten der Geheimdienste mittlerweile die Namen von 1,5 Mill. Syrern stehen.“
„Wir sind für das Regime schon lange keine Syrer mehr“, erzählt Mohammed Sebai, der im Mai 2017 aus Homs in den Libanon „zwangsevakuiert“wurde. Als er vor etwa einer Woche einen Verwandten beauftragte, seine Wohnung in der zentralsyrischen Großstadt registrieren zu lassen, ließen ihn die Behörden wissen, dass er „als gesuchter Terrorist“bereits enteignet worden sei und alle staatsbürgerlichen Rechte verloren habe.
Millionen von Syrern müssen wahrscheinlich mit ähnlichen Bescheiden rechnen. Ziel des Regimes ist es, fast alle der als regimekritisch geltenden Sunniten aus der strategisch bedeutenden Region zwischen Damaskus und Homs sowie entlang der libanesisch-syrischen Grenze zu vertreiben.
Ein weiterer „Vorteil“, den das so perfide „Gesetz Nummer 10“aus der Sicht des Regimes bietet, ist die Belohnung von loyalen Mitbürgern. Ihnen werden schon jetzt enteignete Häuser und Wohnungen überschrieben. Regimetreue Bauunternehmer hätten in den besten Lagen von Aleppo mit dem Wiederaufbau begonnen, nachdem ihnen vom Staat zuvor enteignete Grundstücke „geschenkt“worden seien, heißt es.