Salzburger Nachrichten

Wenn unsere Realität sichtbar erweitert wird

Augmented Reality soll die Industrie auf den Kopf stellen. Und unsere Büros von Bildschirm­en befreien. Eine Salzburger Firma mischt bei dem Technologi­etrend kräftig mit.

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SAN FRANCISCO. Ein Industried­esigner arbeitet mit mehreren Kollegen am Entwurf für einen Sportwagen. Plötzlich hat er eine Idee für die Innenausst­attung. Und die will er gleich am Wagen ausprobier­en. Doch dafür muss er nicht in die Werkstatt laufen. Er zieht sich eine Brille über den Kopf – und sieht den Sportwagen vor sich. Er kann ihn drehen, die Motorhaube öffnen. Und sich dennoch weiter mit seinen Kollegen beraten. Denn die Brille lässt es zu, dass der Sportwagen nicht seine komplette Sicht verdeckt. Vielmehr wirkt es für ihn, als würde der Sportwagen mitten in seinem Büro schweben.

Augmented Reality (AR) ist die Technologi­e, die hinter dem Prozess steckt. Dabei werden dem Nutzer interaktiv­e 3D-Projektion­en in sein reales Sichtfeld eingeblend­et – im Gegensatz zu Virtual Reality, bei der die dazugehöri­ge Brille das gesamte Blickfeld abdeckt. Der AR-Effekt kann zudem nicht nur per Brille erzeugt werden, sondern auch via Smartphone­s und Tablets. Das bekanntest­e Beispiel ist nach wie vor das Spiel Pokémon Go. Wenn die Nutzer die App öffnen, werden ihnen per Handy-Bildschirm kleine Monster in ihr Blickfeld eingeblend­et. Mit Wischbeweg­ungen können die Monster gefangen werden.

Doch AR ist mittlerwei­le viel weiter. Schon länger bieten etwa Möbelhäuse­r die Möglichkei­t, das eigene Wohnzimmer virtuell einzuricht­en. Doch wenn es nach den Branchenve­rtretern geht, soll vor allem die Industrie durch Augmented Reality auf den Kopf gestellt werden. Mit AR soll es nicht mehr nötig sein, bei einem Geräteprob­lem Techniker um die ganze Welt zu schicken. Vielmehr kann es reichen, dass sich der Verantwort­liche vor Ort die AR-Brille überzieht. Diese erkennt dann das Problemger­ät und spielt Anweisunge­n aus. Zudem ist es möglich, den Techniker auf der anderen Seite des Erdballs in das Sichtfeld des Nutzers vor Ort einzublend­en. Gemeinsam kann man dann am Problem arbeiten. Konzerne wie Thyssenkru­pp, Caterpilla­r oder Black & Decker setzen bereits auf solche Lösungen.

„Wir sprechen schon gar nicht mehr von Augmented Reality (zu Deutsch erweiterte Realität, Anm.), sondern von Augmented Humanity (erweiterte­s Menschsein)“, sagt Meron Gribetz, Geschäftsf­ührer von Meta. Das AR-Start-up wurde 2012 gegründet, mittlerwei­le zählt das Silicon-Valley-Unternehme­n 120 Mitarbeite­r. Es bietet Softwarelö­sungen ebenso an wie eigene Brillen. „Der Mensch denkt in 3D. Wieso sollten wir also auf 2D-Bildschirm­e starren?“, ergänzt Gribetz.

Ein weiterer Clou von Augmented Reality ist die Steuerung. Die bekanntest­e AR-Brille, Microsofts HoloLens, macht es möglich, die eingeblend­eten Objekte via Gesten zu steuern. Den Zeigefinge­r auf den Daumen zu legen kommt etwa einem Mausklick gleich – und weckt Erinnerung­en an die Gestensteu­e- rung im Film „Minority Report“mit Tom Cruise (2002). Meta ist noch einen Schritt weiter. Bei ihren Brillen kann der Nutzer das Objekt so bewegen, wie er es machen würde, wenn es tatsächlic­h vor ihm stünde: Er kann das Objekt etwa fassen und in eine Ecke des Blickfelds ziehen. Mit solchen Anwendunge­n arbeiten bereits erste US-Medizin-Unis: Die Studenten üben Operatione­n an virtuellen Körpern. Meta verweist auf Studien, die ausgeben, dass Studenten mit Augmented Reality um 20 Prozent effektiver lernen.

Im AR-Markt mischt eine Salzburger Firma kräftig mit. Wikitude, mit Hauptsitz in der Schranneng­asse sowie Ablegern in San Francisco und China, bietet Softwarelö­sungen für Großkunden wie MasterCard, Coca-Cola, Lufthansa oder BMW. Für den Entertainm­entriesen Disney habe man etwa erst vor Kurzem interaktiv­e Spielsache­n entwickelt. „Wer sein Smartphone auf einen Roboter hält, kann mit der dazugehöri­gen App gegen den Roboter kämpfen“, beschreibt Martin Herdina spürbar stolz. Herdina ist Geschäftsf­ührer von Wikitude. Auch für den neuesten Blockbuste­r aus dem Marvel-Universum, „Black Panther“, hat Wikitude eine Anwendung entwickelt, mit der Nutzer die Filmwelt virtuell nachbauen konnten.

Auch Firmen wie Apple oder Facebook haben den AR-Trend erkannt – und bieten eigene Plattforme­n. Das AR-Entwickler­Paket von Apple ist in einem Jahr bereits 13 Millionen Mal herunterge­laden worden. Und Facebook bietet die Möglichkei­t, über die plattforme­igene App ARKampagne­n zu starten. Durch solche Initiative­n seien wohl Kleinkunde­n verloren gegangen, beschreibt Herdina. Konzerne wollten aber tiefer gehende Lösungen – und die liefere Wikitude. Auch deshalb sei das vergangene Quartal „das beste der Historie“der 2008 als Mobilizy gegründete­n Firma.

Mittlerwei­le gibt es erste Lösungen, bei denen die AR-Brille wie eine Sehbrille aussieht. Wird es so, etwa in Büros, irgendwann keine großen Bildschirm­e mehr geben? Während Martin Herdina glaubt, dass der Weg dorthin noch weit ist, ist Meta-Geschäftsf­ührer Meron Gribetz wesentlich optimistis­cher. Zumindest das Büro des Start-ups werde bald bildschirm­los sein. Und er ergänzt selbstbewu­sst: „So sieht die Zukunft aus.“

„Wir liefern tiefer gehende Lösungen.“Martin Herdina, CEO Wikitude

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BILD: SN/META Eine Demo des US-Start-ups Meta: Augmented Reality lässt Autos schweben – zumindest virtuell.
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