Gedächtnis mit Anschluss an das Internet
Vier Dinge brauche ich, wenn ich aus dem Haus gehe. Genau vier: Schlüssel, Geldbörse, Handy und Lesebrille. Wenn es einmal regnet, gerät das System durcheinander. Schirm dabei, Lesebrille vergessen.
Unlängst musste ich garteln. Und dazu brauchte ich vier Dinge: Heckenschere, Rasenmäher Spitzhacke und Spaten. Erst Stunden nachdem sich der Rest der Familie verabschiedet hatte, wurde mir zwischen Goldregen und Flieder klar: Die Spitzhacke ist kein Schlüsselersatz und meine Heckenschere hat zwar einen Akku wie das Handy, mit ihr kann man trotzdem nicht telefonieren, um Hilfe zu holen, wenn man ausgesperrt ist.
In einer Psychologie-Zeitschrift habe ich einmal gelesen, dass sich das Gehirn bei intensiver Nutzung von Internet und Smartphone neu strukturiert. Wir merken uns dann keine Informationen, sondern nur mehr, wie wir sie finden. Bei Telefonnummern zum Beispiel weiß man, dass sie im Handy gespeichert sind, die Nummer selbst kennt man nicht mehr.
Dieses Forschungsergebnis kann ich bestätigen.
Was aber tun, wenn die Gedächtnis-Prothese im Haus liegt, neben Schlüssel, Geldbörse und Lesebrille, und man keine einzige Telefonnummer eines familiären Mitbewohners parat hat?
Im Langzeitgedächtnis fand ich dann doch noch eine Nummer. Eine Nummer, die einem aus jeder Notlage hilft, die man in seiner Kindheit und Jugend gewählt hat, wenn man den Zug verpasst, einen Platten beim Fahrrad hatte oder um zu sagen, dass man später nach Hause kommt. Die Nummer der Eltern. Ein Euro war in der Hosentasche und eine Telefonzelle in der Nähe. Die rettende Nummer habe ich mit einer Routine getippt, die mich überraschte.
Seither überlege ich, ob ein kleines Adressbüchlein eine Hilfe gegen meine Nummern-Gedächtnis-Lücke wäre. Doch es würde als fünftes Ding für längere Zeit wieder alles durcheinanderbringen.