Eine Schachtel erzählt von Dankbarkeit
Seit dem 14. Juni 1943 bewahrt Egon Katinsky einen Schatz aus Stroh. Es ist ein Geschenk eines russischen Gefangenen im „Markt Pongau“. Deckel und Kanten sind mit Stroh verziert
SALZBURG. Als Volksschüler kam Egon Katinsky oft bei einem Gefangenenlager vorbei. In der Nähe des einstigen Gasthauses „zur Liechtensteinklamm“in der Plankenau, das seine Großeltern geführt hätten, seien im Zweiten Weltkrieg Baracken für Kriegsgefangene aufgebaut worden, schildert der jetzige Prälat rund 75 Jahre später. Hier, nahe dem Eingang zur Klamm und nach der Not der Zwischenkriegszeit, lebte die Familie in höchst bescheidenen Verhältnissen.
Als Bub habe er den Zweck des mit Drahtzaun und Wachturm gesicherten Lagers nicht gekannt. Doch immer wieder sei er dorthin gegangen, um den Gefangenen Brot zu bringen. Ob seine Eltern dies gewusst hätten, wisse er nicht mehr. „Ich bin immer allein gegangen.“Allerdings habe er sich schon gewundert, dass der bewaffnete Mann auf dem etwa 30 Meter entfernten Turm ihn offenbar gesehen, doch weder ermahnt noch verscheucht habe.
Also sei er „öfter vorbeigekommen“, das Lager sei ja „in der Nachbarschaft von unserem Heimathaus gewesen, fünf Gehminuten entfernt“. Habe er einen Gefangenen gesehen, „bin i zum Drahtzaun zubi und hab ihm Brot überreicht“. Eines Tages reichte ein Gefangener dem Zwölfjährigen wortlos etwas durch den Zaun: eine gut handtellergroße, in Stroh eingefasste Schachtel mit einer Aufschrift (siehe unten). „Das ist ein Geschenk, das ich unter besonderen Umständen erhalten habe“, sagt Egon Katinsky. Er habe diese „denkwürdige Schachtel“seither als Kostbarkeit verwahrt.
Mittlerweile ist ihm klar, dass diese „zwei oder drei Baracken“ein Außenlager des Kriegsgefangenenlagers von St. Johann waren, das in der NS-Zeit „Markt Pongau“genannt werden musste. Dieses sei neben dem (derweil abgerissenen) „Gasthof Glückauf“gewesen am Eingang zur Liechtensteinklamm. „Gleich nach dem Krieg war es wieder weg.“
Sogar eine noch grauenhaftere Erinnerung aus dieser Zeit ist ihm präsent: die Transporte toter Gefangener mitten durch den Ort zum „Russenfriedhof“.
Allerdings bescherte ihm das Jahr 1943 auch Glück: Franz Wesenauer, damals Kooperator in St. Andrä in der Stadt Salzburg , kam
offenbar zur Aushilfe nach St.
„I bin zum Drahtzaun zubi und hab ihm Brot überreicht.“
machtet rusische offiziere Bladimir Alexsandrow Sirtolov.“So lautet die Aufschrift auf der Unterseite der Schachtel. Korpus und Deckel sind aus Karton und innen mit einem Stoff überzogen. Die Kanten sind verziert. Dafür wurden offenbar dünne Bündel von Strohhalmen mit raffiniert ineinander verknotetem Stroh umschlossen. Diese Borte ist mit grobem Faden ebenmäßig angesäumt. Johann und fragte den Ministranten, ob er ins Gymnasium wolle. Er sei in der 6. Klasse Volksschule gewesen, erzählt Egon Katinsky. Kein anderer Schulbesuch – nicht einmal Hauptschule – wäre für ihn auch nur denkbar gewesen!
Auf Vermittlung Franz Wesenauers gewährte ihm die Familie der Bäckerei Schmidhuber in Anthering kostenlos Kost und Quartier, sodass er ab September 1943 in der Stadt Salzburg ins Gymnasium konnte – danach ins Borromäum. 1956 wurde er zum Priester geweiht. Er wirkte unter anderem als Pfarrer von Taxham, Regens des Priesterseminars, Mitglied des Domkapitels, Bischofsvikar sowie Pfarrer von Vigaun.