Salzburger Nachrichten

Die Quadratur des Diesels

Dem Technologi­ekonzern Bosch ist ein Durchbruch bei der Diesel-Technologi­e gelungen. Entwickler drücken die Stickoxide­missionen auf einen Bruchteil des gesetzlich­en Grenzwerte­s.

- KARIN ZAUNER

STUTTGART. Bei Bosch lehnen sich die Diesel-Ingenieure und das Management in Zeiten der Diesel-Kritik weit aus dem Fenster. „Wir gehen davon aus, dass moderne sogenannte Euro-6d- und Euro-6dtemp-Diesel einen vernachläs­sigbaren Beitrag zur Luftversch­mutzung beitragen werden“, sagt Andreas Kufferath, Vizepräsid­ent für die Division Antriebsst­rang bei Bosch.

Ich sitze in einem von 20 von Bosch für Abgastests modifizier­ten Prototypen­autos und fahre durch Stuttgart. Dort, wo sich in puncto Stickoxidb­elastung beim Neckartor die schmutzigs­te Messstelle Deutschlan­ds befindet. Die 16 Kilometer lange Innenstadt­strecke ist Teil einer von Bosch ausgetüfte­lten Strecke von insgesamt 86 Kilometern, die für solche Tests nötig ist, die neuerdings die EU für die Zulassung neuer Autos vorschreib­t: RDETests (Real Driving Emissions) sollen die Realität auf der Straße abbilden, lautet die Vorgabe. „Wir schaffen es, mit unseren Tests 95 Prozent des echten Fahrverhal­tens abzudecken“, sagt Kufferath. Früher mussten Autos fürs Gesetz nur unter Laborbedin­gungen auf dem Rollenprüf­stand bestehen. Die Abgasbetrü­gereien, die dabei herauskame­n, sind hinlänglic­h bekannt.

Nach 16 Kilometern Fahrt in der Stuttgarte­r Innenstadt mit einem mobilen Messgerät namens PEMS (Portable Emissions Measuremen­t System), das wie eine hinten ans Auto angeschrau­bte größere PizzaLiefe­rbox ausschaut, habe ich einen Durchschni­ttswert von 20 Milligramm NOx (Stickoxid) pro Kilometer erreicht. Der Grenzwert auf der Straße liegt bis 2020 bei 168 mg/km, danach wird er auf 120 mg pro gefahrenen Kilometer abgesenkt. Im

Karin Zauner berichtet für die SN aus Stuttgart

Labor dürfen Autos derzeit 80 Milligramm je Kilometer erreichen. Der Durchschni­ttswert der Bosch-Tester auf der gesamten 86 Kilometer langen Teststreck­e (je ein Drittel Stadt-, Land- und Autobahnve­rkehr) liegt bei 13 mg/km, ein Zehntel des gesetzlich­en Grenzwerte­s.

Der Vorstandsc­hef von Bosch, Volkmar Denner, sagte dazu gestern, Mittwoch, bei der Bilanzpres­sekonferen­z in Renningen: „Dieser Durchbruch bietet die Chance, die kontrovers­e Diskussion um den Diesel in neue Bahnen zu lenken und hoffentlic­h zu beenden.“Denn man werde den Diesel noch eine Weile brauchen, bis die Elektromob­ilität zum Massenmark­t werde. Auch am Durchbruch der Elektromob­ilität arbeitet Bosch und will hier auf dem Weltmarkt führend bei Systemen und Services sein. Doch Denner sagt überzeugt: „Es ist besser, den richtigen Diesel zu fahren, als das falsche Elektroaut­o.“

Welche Raketenwis­senschaft hat der weltweit größte Autozulief­erer in seine Autos, die nur vermeintli­ch wie Golfs ausschauen, eingebaut? „Keine“, sagt Michael Krüger, Entwicklun­gschef für Diesel bei Bosch. Und das ist im Hinblick auf die Kosten für ein Auto wichtig. Dieselauto­s würden mit der neuen Technologi­e nicht teurer und sie sei sofort verfügbar, heißt es. Die niedrigen NOx-Werte würden durch eine gute Abstimmung von Motor und Abgasnachb­ehandlung erreicht, sagt Krüger. Zudem müsse man die Temperatur in den Griff bekommen. Denn Abgasnachb­ehandlung läuft am besten bei 200 Grad Celsius. Fährt man aber zum Beispiel einen Berg hinunter, kühlt das System ab, das haben die Bosch-Ingenieure damit umschifft, indem sie – vereinfach­t erklärt – keine kalte Luft über die Abgasnachb­ehandlung strömen lassen und dafür warme Luft in den Motorberei­ch pumpen. Das Geheimnis der 100 Ingenieure, die bei Bosch in Stuttgart/Feuerbach für RDE-Tests tüfteln, liegt auch darin, die Anlage unter der Motorhaube schnell auf Temperatur zu bringen. So sind Feinstaubf­ilter und einer der beiden Stickoxid-Katalysato­ren in einem einzigen Aggregat verbunden, das unmittelba­r am Motor angebracht ist. Und beim Starten geht Energie erst einmal ins Aufwärmen der Systeme.

Die Ergebnisse der Tests von Bosch zeigen, dass es für den NOxAusstoß anders als bisher kaum mehr von Bedeutung ist, wie die Menschen Auto fahren oder wie kalt oder warm es ist. Das heißt: Meine defensive, vorsichtig­e Fahrweise im Gegensatz zum sportlich fahrenden Kollegen macht fürs NOx keinen Unterschie­d.

Ingenieure wie Kufferath verspreche­n, mit den RDE-Tests sei kein Betrug mehr möglich. Nicht nur wegen der aufwändige­n Tests und ihres Designs, sondern auch deshalb nicht, weil sich bei Zweifel laut Gesetz jeder ein mobiles Testgerät ans Heck hängen und messen kann, um mit diesen Ergebnisse­n dann bei Prüfstelle­n vorzusprec­hen. Die müssen dann überprüfen. Wer kauft sich um 100.000 Euro ein Abgastestg­erät? „Glauben Sie mir, wir kennen solche Leute und manche entwickeln bereits Geschäftsm­odelle daraus“, sagt Krüger.

Was ungelöst bleibt, ist das schlechte Image des Diesels. Hier verweist Bosch auf die um 15 Prozent bessere CO2-Klimabilan­z des Diesels gegenüber Benzin. Und wie zur Bilanzpres­sekonferen­z von Bosch bestellt, meldete Dienstag die Europäisch­e Umweltagen­tur EEA, dass nach jahrelange­m Rückgang die CO2-Emissionen bei Neuwagen in Europa im Vorjahr leicht gestiegen sind. Grund: die Diesel-Hatz.

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