Was Kirche und Staat gemeinsam angeht
Die Trennung von Kirche und Staat war in Österreich ein mühsamer Prozess, der sich über ein Jahrhundert hingezogen hat. Wie steht es heute um die Dialogkultur zwischen Kirche und Politik und was muss sich ändern?
Die Geburtsstunde der Trennung von Kirche und Staat in Österreich erfolgte mitten im letzten Aufleben der Monarchie. Das Staatsgrundgesetz 1867 stellte alle gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften gleich und normierte die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Der Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte wurde damit vom Glaubensbekenntnis unabhängig. Jedoch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen.
Trotz dieser grundlegenden Trennung von Kirche und Staat war die katholische Kirche in der Ersten Republik eng mit der Christlichsozialen Partei verwoben. Diese verstand sich als politischer Arm der katholischen Kirche und fand durch die Kirche und ihre Organisationen eine Basis in der breiten Bevölkerung. Der Allgemeine Deutsche Katholikentag im September 1933 war eine groß angelegte Massenveranstaltung, auf der die Kirche mit einem öffentlich bekundeten Schulterschluss von Kirche und Staat die bald einsetzende „austrofaschistische“Diktatur abgesegnet hat. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß verkündete in seiner Rede auf dem Wiener Trabrennplatz das Ziel, einen „sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage, unter starker autoritärer Führung“zu errichten. Gleichzeitig beschloss die Bischofskonferenz den Rückzug der Priester aus politischen Funktionen.
Am 1. Mai 1934 trat, gleichzeitig mit der autoritären Ständestaat-Verfassung, das Konkordat von 1933 in Kraft. Nach dem Ende des NSRegimes 1945 dauerte es wegen Vorbehalten der SPÖ zwölf Jahre, bis die Bundesregierung das Konkordat grundsätzlich wieder anerkannte. Das Sekretariat der Bischofskonferenz wurde in die Liste jener gesellschaftsrelevanten Institutionen aufgenommen, die zur Begutachtung von Gesetzen eingeladen werden.
Ein neuer Sozialhirtenbrief ist eine dringende Notwendigkeit
Trotz der Annäherung von SPÖ und katholischer Kirche waren weiterhin die Kontakte der Kirche zur ÖVP intensiver. Erst 1979 wurde das Kontaktkomitee der Katholischen Aktion mit der ÖVP zu einem Kontaktkomitee mit allen politischen Parteien geöffnet. Die ÖVP reagierte verschnupft und machte gegen Ende der Ära von Kardinal Franz König auch in Rom Stimmung gegen die österreichischen Bischöfe. Dies war mit eine Ursache dafür, dass Rom ab Mitte der 1980er-Jahre eine Reihe streng konservativer Bischöfe in Österreich einsetzte.
Einen sachlich und fachlich gut überlegten Neustart der Dialoge mit den politischen Parteien brachte der „Dialog für Österreich“(1997–1998). Es fanden Gespräche mit den Parteipräsidien der Regierungsparteien statt sowie Studientage mit allen im Parlament vertretenen Parteien. Diese strukturierte Gesprächsebene zwischen katholischer Kirche und Regierung bzw. Parteien auf Bundesebene ging nach dem Dialog für Österreich verloren und fehlt seither. Daher stellt sich für die katholische Kirche in Österreich heute grundlegend die Frage, wie sie künftig auf Bundesebene mit jenen Personen und Institutionen, die politische Verantwortung tragen, in Kontakt sein kann und will. Mit dem früheren bayerischen Staatsminister Hans Maier gilt: „Es lohnt sich, über eine Theologie nachzudenken, welche die Politik – ohne sie zu beherrschen und vereinnahmen zu wollen – zu begleiten und zu erhellen strebt.“Das zentrale Thema der Kirche gegenüber der Politik ist – durch das Nadelöhr des Nachdenkens und der Gewissensbildung hindurch – Gerechtigkeit. Es wird dafür einen neuen Sozialhirtenbrief brauchen. Seit dem Sozialhirtenbrief 1990 gibt es unendlich viele und neue Entwicklungen im sozialen Milieu, in Fragen von Flüchtlingen und Zuwanderung, in der Entwicklungspolitik, in der Europapolitik, in der Spannung von Eigenverantwortung und sozialem Schutz und nicht zuletzt im Umgang mit unseren begrenzten Ressourcen, der sich u. a. in einer himmelschreienden Verschwendung und Vernichtung von Lebensmitteln zeigt. Papst Franziskus hat die Bischofskonferenzen dringend darum gebeten, zu allen diesen sozialen Fragen auf regionaler und lokaler Ebene präzise Stellung zu beziehen.
Wir brauchen in Österreich dringend wieder eine Dialogkultur, die Kritik und Widerspruch nicht als Affront empfindet, sondern als Anregung zum Weiterdenken. Es geht um eine gemeinsame Einschätzung von sozial extrem schwierigen Lebenssituationen, in die Menschen geraten können. Dass Kritik in jüngster Zeit rasch als Affront missverstanden wird, ist ein demokratiepolitischer Rückschritt.
Die gerechte Ordnung der Gesellschaft und des Staates ist zentraler Auftrag der Politik. Ein Staat, der nicht durch Gerechtigkeit definiert würde, wäre nur eine große Räuberbande, sagte der heilige Augustinus. Kirche kann nicht nur, sie ist dringend verpflichtet, zu dieser Gerechtigkeit beizutragen – in Wort und Tat.
Franz Küberl war von 1995 bis 2013 Präsident der Caritas Österreich. Der Beitrag ist ein Auszug aus seiner Rede beim diesjährigen Medienempfang des Salzburger Erzbischofs Franz Lackner.