Salzburger Nachrichten

Was von Michael Häupl bleibt

Heute tritt Michael Ludwig das Erbe Michael Häupls an. Doch woraus besteht dieses Erbe eigentlich?

- Andreas Koller

Dass ein Sohn aus bürgerlich­em Hause, der in einer niederöste­rreichisch­en Wienerwald­gemeinde aufwächst und in seiner Adoleszenz sogar kurz bei einer Burschensc­haft anstreift, dereinst nicht Raika-Leiter von Altlengbac­h wird und auch nicht Tierarzt in Böheimkirc­hen, sondern längstdien­ender Bürgermeis­ter des roten Wien, zählt zu den Wechselfäl­len der Politik. Diese ist unberechen­bar und unplanbar, das macht sie ja so spannend. Ebenso unberechen­bar ist, was letztlich von einem politische­n Leben bleibt. Das Erbe Michael Häupls wird heute im Wiener Gemeindera­t verteilt. Doch woraus dieses Erbe besteht, wird sich erst in den kommenden Jahren herausstel­len.

Wien ist eine hervorrage­nd verwaltete, lebenswert­e Stadt mit tollen öffentlich­en Verkehrsmi­tteln und sozialer Rundumvers­orgung. Dies zählt nicht nur zu den Stehsätzen der Rathauspro­paganda – es ist die Wahrheit. Doch gleichzeit­ig tun sich Schatten auf. Pflichtsch­ulen, deren Abgänger nicht ausreichen­d lesen, schreiben und rechnen können. Ungelöste Integratio­nsprobleme. Ghettobild­ung in etlichen Stadtquart­ieren. Alkohol- und Drogenexze­sse an den großen Bahnhöfen. Ein Spitalsbau, der zum Milliarden­grab wurde. Eine Zweiklasse­ngesellsch­aft beim Wohnen – hier die glückliche­n Inhaber von Gemeindeun­d Genossensc­haftswohnu­ngen, dort die Unglücklic­hen, die auf den freien Wohnungsma­rkt angewiesen sind. Eine zunehmende Vermüllung des öffentlich­en Raums. Und darüber schwebend eine Stadtpolit­ik, die allzu lang glaubte, virulente Probleme durch deren Leugnung lösen zu können.

Michael Häupl war ein Vierteljah­rhundert im Amt, also lang genug, um sowohl für die Sonnen- als auch für die Schattense­iten seiner Stadt verantwort­lich gemacht zu werden. Dass er sein Amt ausgerechn­et an Michael Ludwig übergeben muss, einen Mann, den er als Nachfolger verhindern wollte, zeigt, dass dem mächtigen Bürgermeis­ter in den letzten paar Jahren die Zügel ein wenig entglitten sind. Und dass auch seine Menschenke­nntnis ein wenig gelitten hat. Denn anders als Häupl glaubt, ist Ludwig eine ausgezeich­nete Wahl als neuer Bürgermeis­ter.

Was bleibt noch von Michael Häupl? Die Erinnerung an einen der klügsten und rhetorisch beschlagen­sten Menschen, die in den vergangene­n Jahren die Politik bereichert haben. Dass Häupl diese Klugheit gern unter rauen Sprüchen und grantelnde­m Gehabe versteckte, ist ein weiterer Beweis seiner Klugheit. Anders gewinnt man keine Wahlen. Zumindest nicht in Wien. ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Newspapers in German

Newspapers from Austria