Was von Michael Häupl bleibt
Heute tritt Michael Ludwig das Erbe Michael Häupls an. Doch woraus besteht dieses Erbe eigentlich?
Dass ein Sohn aus bürgerlichem Hause, der in einer niederösterreichischen Wienerwaldgemeinde aufwächst und in seiner Adoleszenz sogar kurz bei einer Burschenschaft anstreift, dereinst nicht Raika-Leiter von Altlengbach wird und auch nicht Tierarzt in Böheimkirchen, sondern längstdienender Bürgermeister des roten Wien, zählt zu den Wechselfällen der Politik. Diese ist unberechenbar und unplanbar, das macht sie ja so spannend. Ebenso unberechenbar ist, was letztlich von einem politischen Leben bleibt. Das Erbe Michael Häupls wird heute im Wiener Gemeinderat verteilt. Doch woraus dieses Erbe besteht, wird sich erst in den kommenden Jahren herausstellen.
Wien ist eine hervorragend verwaltete, lebenswerte Stadt mit tollen öffentlichen Verkehrsmitteln und sozialer Rundumversorgung. Dies zählt nicht nur zu den Stehsätzen der Rathauspropaganda – es ist die Wahrheit. Doch gleichzeitig tun sich Schatten auf. Pflichtschulen, deren Abgänger nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen können. Ungelöste Integrationsprobleme. Ghettobildung in etlichen Stadtquartieren. Alkohol- und Drogenexzesse an den großen Bahnhöfen. Ein Spitalsbau, der zum Milliardengrab wurde. Eine Zweiklassengesellschaft beim Wohnen – hier die glücklichen Inhaber von Gemeindeund Genossenschaftswohnungen, dort die Unglücklichen, die auf den freien Wohnungsmarkt angewiesen sind. Eine zunehmende Vermüllung des öffentlichen Raums. Und darüber schwebend eine Stadtpolitik, die allzu lang glaubte, virulente Probleme durch deren Leugnung lösen zu können.
Michael Häupl war ein Vierteljahrhundert im Amt, also lang genug, um sowohl für die Sonnen- als auch für die Schattenseiten seiner Stadt verantwortlich gemacht zu werden. Dass er sein Amt ausgerechnet an Michael Ludwig übergeben muss, einen Mann, den er als Nachfolger verhindern wollte, zeigt, dass dem mächtigen Bürgermeister in den letzten paar Jahren die Zügel ein wenig entglitten sind. Und dass auch seine Menschenkenntnis ein wenig gelitten hat. Denn anders als Häupl glaubt, ist Ludwig eine ausgezeichnete Wahl als neuer Bürgermeister.
Was bleibt noch von Michael Häupl? Die Erinnerung an einen der klügsten und rhetorisch beschlagensten Menschen, die in den vergangenen Jahren die Politik bereichert haben. Dass Häupl diese Klugheit gern unter rauen Sprüchen und grantelndem Gehabe versteckte, ist ein weiterer Beweis seiner Klugheit. Anders gewinnt man keine Wahlen. Zumindest nicht in Wien. ANDREAS.KOLLER@SN.AT