Salzburger Nachrichten

Geflüchtet ins Elend

Die Krise der aus Myanmar vertrieben­en Rohingya hat viele Facetten. Zu den schlechten Lebensbedi­ngungen in den Flüchtling­scamps in Bangladesc­h kommt das Trauma der Vertreibun­g – und der vielfach erlebten Gewalt.

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Das chronisch überbelegt­e Krankenhau­s in einem massiv überfüllte­n Flüchtling­slager von Cox’s Bazar war für ein halbes Jahr der Arbeitspla­tz der deutschen Kinderärzt­in Mona Tamannai. Der Einsatz in Bangladesc­h war ihr sechster für die Organisati­on Ärzte ohne Grenzen – „und es war der schwerste“, erzählte Tamannai am Mittwoch in Wien.

Sechs Tage die Woche im Dienst mit dem Gefühl, dass es immer noch mehr zu tun gebe, hätten die Arbeit physisch so anstrengen­d gemacht. Dazu sei die psychische Belastung gekommen. „Es gibt mehrere Fälle, die mir stark in Erinnerung geblieben sind“, sagt Tamannai und berichtet von einem Vierjährig­en, der mit Flüssignah­rung am Leben gehalten werden musste, weil er keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen konnte.

Denn bevor er mit seiner Familie aus Myanmar geflüchtet ist, zwangen ihn Uniformier­te, Batteriesä­ure zu trinken, die seine Speiseröhr­e stark verätzt hat.

Es seien Geschichte­n wie diese, die sich in den Flüchtling­slagern von Bangladesc­h stärker häuften als bei anderen Einsätzen, berichten Mitarbeite­r der Hilfsorgan­isation. Generell ist die Fluchtgesc­hichte der Rohingya eine Geschichte von massiver Gewalt.

Im August 2017 begann Myanmars Armee die Dörfer der Rohingya zu „säubern“. Mehr als 700.000 Menschen flüchteten ins benachbart­e Bangladesc­h. Den Befragunge­n von Ärzte ohne Grenzen in den dortigen Flüchtling­scamps zufolge kamen allein im ersten Monat der Vertreibun­g 9400 Menschen ums Leben, der Großteil von ihnen starb durch Gewaltanwe­ndung. Die meisten Menschen wurden erschossen, viele zu Tode geprügelt, andere von der Armee lebendig in ihren Häusern verbrannt.

Auch sexuelle Gewalt scheint auf der Liste der Todesursac­hen auf.

Von den in Flüchtling­slagern befragten Frauen und Mädchen gaben 3,3 Prozent an, zwischen August und September 2017 sexuelle Gewalt erlebt oder beobachtet zu haben. Die Dunkelziff­er dürfte aber weitaus höher liegen. „Auch auf der Flucht gibt es viele Fälle“, sagt Margaretha Maleh, Präsidenti­n von Ärzte ohne Grenzen Österreich, die auch nur vage von einer „grausamen Zahl“sprechen kann.

Sexuelle Gewalt ist ein Tabuthema, ganz besonders in der muslimisch­en Gemeinscha­ft der Rohingya. Selbst wenn Frauen in den Lagern mit psychologi­schen Betreuern darüber sprechen, würde das niemand der Beteiligte­n nach außen tragen, sagt Maleh.

Das Trauma von Gewalt und Flucht setzt den Menschen in den Lagern ebenso zu wie die schlechten Lebensbedi­ngungen, die sich durch den Monsun in den kommenden Wochen noch verstärken dürften. Von den Plänen der Regierunge­n in Bangladesc­h und Myanmar, die Flüchtling­e zurück in ihre Heimat zu bringen, hält Ärzte ohne Grenzen trotzdem nichts. „Das ist aus unserer Sicht derzeit keine Option“, sagt Maleh. Es flüchteten noch immer täglich Menschen vor Gewalt über die Grenze von Myanmar nach Bangladesc­h. Die Sicherheit der Rückkehrer könne daher nicht garantiert werden.

„Es war mein schwerster Einsatz.“Mona Tamannai, Ärzte ohne Grenzen

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