Philip Roth provozierte, um wahrhaftig zu bleiben
Der Nobelpreis blieb dem „ewigen Kandidaten“verwehrt. Der bedeutende US-amerikanische Autor ist 85-jährig gestorben.
Sollte man einen Gegenwartsautor mit dem Prädikat „bedeutend“bedenken, bieten sich nicht viele an. Philip Roth ist einer der wenigen, der Nobelpreis ist ihm dennoch verwehrt geblieben.
In seinem Werk spiegelt sich das schreckliche, das wunderbare, das verklemmte und dann doch so freizügige 20. Jahrhundert aus amerikanischer Sicht. Er kann tiefgründig und wunderbar verspielt sein, gezielt setzt er Ironie ein, seine grenzenlose Fantasie fängt er ein durch die enge Bindung an den jeweiligen historischen Augenblick. Seine Figuren, oft mit ihren Eigenschaften, Erfahrungen und biografischen Überschneidungen Spielfiguren des Verfassers, tun sich schwer, als unauffällige Charaktere in der Gesellschaft aufzugehen. Ein Makel hängt ihnen nach, der vor allem sie selbst innerlich aufzufressen droht.
Sie sind psychisch Bedrängte, von Obsessionen Heimgesuchte, Wüstlinge der Zivilisation, das Ich und die Gesellschaft ist für sie nur um den Preis der Lüge unter einen Hut zu bringen.
Alexander Portnoy ist solch ein Charakter, der freigiebig in einem langen Monolog an seinen Psychiater Auskunft gibt. Er entstammt einer jüdischen Familie und ist geschädigt durch die strengen moralischen Grundsätze, die ihm implantiert wurden und mit denen er in Konflikt gerät, zumal er seine Ansprüche an Sexualität damit nicht in Einklang zu bringen versteht. Eine bemitleidenswerte Figur?
Roth unternimmt nichts, um seinen anklagenden, larmoyanten Helden sympathisch erscheinen zu lassen. Ein Widerling, monoman und besserwisserisch, meldet sich zu Wort. Mit „Portnoys Beschwerden“aus dem Jahr 1969 gelang Philip Roth der Durchbruch. Von da an war er eine fixe Größe im amerikanischen Literaturbetrieb, deren Entwicklung genau beobachtet wurde.
Es ist schwer, einen Titel als Hauptwerk aus den gut dreißig Romanen herauszulösen, die „Zuckerman-Trilogie“bietet sich aber doch dafür an.
Im Mittelpunkt steht Nathan Zuckerman, Schriftsteller, er wird als Alter Ego von Roth verstanden. Er macht das, was ein Schriftstellerleben ausmacht: Er verehrt in jungen Jahren einen großen Literaten als Vorbild, besucht ihn auf seiner Farm, wird aber schon dort abgelenkt, weil der junge Mann neurotisch ist und von Begierden gepackt wird. Das intellektuelle Leben allein macht Zuckerman nicht aus, wenn er auch die üblichen Karriereschritte vom blutigen Anfänger zum gefeierten Autor mit Schreibhemmung durchmacht.
Im Mittelstück, „Zuckermans Befreiung“, ist festgehalten, wie ein Roman über Nacht zum Erfolg mit Skandalpotenzial stilisiert und als verkappte Autobiografie gehandelt wird. So sieht Roths Verarbeitung vom eigenen Aufstieg zur nationalen Größen seit „Portnoys Beschwerden“aus.
Besonders finster ist der Roman „Verschwörung gegen Amerika“aus dem Jahr 2004. Roth denkt amerikanische Geschichte um. Was wäre, wenn mitten im Zweiten Weltkrieg nicht Roosevelt zum Präsidenten gewählt worden wäre, sondern Charles Lindbergh, der beliebte Flugpionier, der beste Kontakte zu den Nazi-Größen pflegte? Dann wären die USA nicht in den Krieg eingetreten, wie in Europa wäre Jagd auf Juden gemacht worden – und mittendrin die Familie Roth. Unwahrscheinlich ist dieses Szenario nicht, denn Lindbergh hielt viel beachtete Reden, dass sich die USA aus dem Krieg raushalten sollten.
Im Alter von 85 Jahren ist Philip Roth am Dienstag, wie die „New York Times“berichtete, „umgeben von engen Freunden“, gestorben.