Stärker als Seide und Stahl
Schwedische Forscher haben das widerstandsfähigste Biomaterial der Welt hergestellt. Es ist biologisch abbaubar und leicht und könnte in den nächsten Jahrzehnten den Alltag verändern.
„Fossile Kunstmaterialen könnten dadurch ersetzt werden.“Daniel Söderberg, Materialforscher
STOCKHOLM. Für Laien klingt es zunächst etwas ungreifbar. Doch was schwedischen Wissenschaftern nun gelungen ist, könnte die Herstellung von Produkten in allen nur erdenklichen Branchen wie etwa der Auto-, Möbel oder Schiffsindustrie und damit den menschlichen Alltag revolutionieren.
Die Forscher der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm (KTH) haben am Teilchenbeschleuniger des Hamburger Forschungszentrum DESY das bislang stärkste Biomaterial der Welt herstellen können. Laut einer im Fachmagazin „ACS Nano“veröffentlichen Artikel ist es stärker als Spinnenseide und Stahl. „„Wenn man ein biobasiertes Material sucht, gibt es nichts wirklich Vergleichbares. Es ist auch stärker als Stahl und alle anderen Metalle oder Legierungen, Fiberglas und die meisten anderen synthetischen Materialien“, sagt Studienleiter und Materialforscher Daniel Söderberg den SN.
Dabei besteht der neue Stoff prinzipiell aus den gleichen Grundstoffen wie gewöhnliches Holz, den Zellulose-Nanofasern (Fibrillen). Nur die Struktur ist eine andere. Die winzigen Fasern konnten in Hamburg fast perfekt parallel ausgerichtet und dicht aneinander gelagert werden. Dadurch ist der neue Stoff fast so stark wie die einzelnen Fasern für sich. Das nun vor Spinnenseide stärkste Naturmaterial der Welt ist zudem extrem leicht und biologisch abbaubar. „Fossile Kunstmaterialen könnten etwa im Bauwesen, bei Transportfahrzeugen und in vielen anderen Bereichen so ersetzt werden“, sagt Söderberg.
Vor allem die Art und Weise, wie die Wissenschafter diesen Stoff hergestellt haben und damit die vorteilhaften Nanoeigenschaften winziger Fasern auf eine größere im menschlichen Alltag nutzbare Materialeinheit übertragen konnten, gilt als Weltneuheit. Denn bislang galt es als extrem schwierig, die vorteilhaften Eigenschaften aus der winzigen Nanowelt auf größere Bausteine zu übertragen, die groß genug sind, um im menschlichen Alltag genutzt zu werden.
Bis jetzt können nur Oberflächen von gewöhnlichem Material nanoversiegelt werden. Bei einer PkwNanoversiegelung etwa werden Silizium-Nanopartikel auf die Oberfläche des Fahrzeugs aufgetragen, sodass eine dünne, unsichtbare Schutzschicht entsteht.
Vereinfacht ausgedrückt, nutzten die Forscher zur Herstellung ihres superfesten Materials Wasser. Mithilfe von „hydrodynamischer Fokussierung“drückten sie winzige Nanofibrillen in einem rund einen Millimeter breiten Kanal stark zusammen, dies mithilfe von seitlich einströmendem Wasser mit die Ladung der Fasern beeinflussenden PH-Werten.
Im Endprodukt, einem dicht gepackten Faden, sitzen die winzigen Fasern ohne Klebstoff fest aneinander. Es dürfte noch eine Weile dauern, bis der Produktionsprozess ausgereift ist, um zur praktischen Anwendung im menschlichen Alltag zu kommen.
Doch dann gelten die Möglichkeiten als unbegrenzt. So könnte der superleichte und extrem widerstandsfähige Stoff etwa Bauelemente in Autos, Flugzeugen oder Möbeln ersetzen, noch dazu umweltfreundlich. Auch in der Biomedizin böten sich Möglichkeiten, sagte Söderberg. „Unser neues Material hat auch Potenzial für die Biomedizin, da Zellulose vom Körper nicht abgestoßen wird“, erklärt der Forschungsleiter.