Salzburger Nachrichten

Der Abschied des letzten Dinosaurie­rs

Heute verlässt Michael Häupl endgültig die politische Bühne. Die Landeshaup­tleutekonf­erenz verliert ohne ihn weiter an Gewicht. Und die SPÖ verliert ihren oftmaligen Königsmach­er.

- ALEXANDER PURGER

WIEN. Mitteilung des Bürgermeis­ters. – So lautet heute, Donnerstag, der erste Tagesordnu­ngspunkt im Wiener Gemeindera­t. Was der Wiener Bürgermeis­ter und Landeshaup­tmann dabei mitteilen wird, ist bereits bekannt: seinen Rücktritt, diesmal aber wirklich.

Nach der Rede soll der designiert­e Nachfolger Michael Ludwig zum neuen Stadtoberh­aupt gewählt werden. Damit ist die politische Karriere Michael Häupls nach 24 Jahren an der Spitze der Stadt Wien endgültig zu Ende. Die Bilanzen zu seinem Abschied auf Raten – bereits im Jänner hatte er den Wiener SPÖVorsitz an Ludwig abgegeben – fielen überrasche­nd wohlwollen­d aus. Überrasche­nd deshalb, weil Häupl ein schwierige­s Erbe hinterläss­t. Das kann man nicht nur an den zahllosen politische­n Baustellen der Bundeshaup­tstadt sehen, sondern auch daran, dass die Wahl seines Nachfolger­s – der im Übrigen keineswegs sein Wunschkand­idat war – heute alles andere als eine „g’mahte Wiesen“ist.

Zwar verfügt die rot-grüne Stadtkoali­tion über eine Mehrheit von 54 der 100 Sitze im Gemeindera­t, sodass die notwendige­n 51 Stimmen für Ludwig eigentlich kein Problem sein sollten. Dennoch wird in den Wiener Medien seit Tagen spekuliert, dass einige SPÖ- und GrünMandat­are von der Koalitions­linie ausscheren könnten und Ludwig bei der Wahl durchfällt. Dies wäre wohl das Ende von Rot-Grün in Wien. Häupl bliebe vorerst Bürgermeis­ter und müsste sich den Kopf zerbrechen, wie es weitergeht. Eine geordnete Hofübergab­e, wie sie seine langjährig­en Kollegen Erwin Pröll und Josef Pühringer in Nieder- und Oberösterr­eich hinbekomme­n hat, sähe anders aus.

Apropos: In der Landeshaup­tleutekonf­erenz, von der er sich in der Vorwoche verabschie­dete, hinterläss­t Häupl eine große Lücke. Zu Zeiten, als dort noch Pröll, Pühringer und er das Kommando führten, kamen allein diese drei auf eine kumulierte Amtszeit von 71 Jahren. Rechnet man hingegen die Amtszeit der neun Landeshaup­tleute der Nach-Häupl-Zeit zusammen, kommt man nur auf 49 Jahre. In der Politik, wo die Macht mit den Jahresring­en wächst, ist das ein erhebliche­r Unterschie­d.

Außerdem fällt auf, dass derzeit ein neuer Typus von Landeshaup­tleuten im Entstehen ist. Nicht mehr der große, mitunter polternde Auftritt als Landesvate­r bzw. -mutter steht im Vordergrun­d, sondern eher die stille Sacharbeit.

Mit dem Abgang der „Großen Drei“verliert die Landeshaup­tleutekonf­erenz zweifellos an Einfluss. Nutznießer dieser Entwicklun­g ist die Bundesregi­erung. Ihre gerade heftig diskutiert­e Reform der Sozialvers­icherung mit dem Ende der neun Gebietskra­nkenkassen hätte sie gegen eine wirklich starke Landeshaup­tleutekonf­erenz wohl kaum durchgebra­cht.

Auch die Lücke, die Häupl in der SPÖ hinterläss­t, ist eine große. Als Chef der mächtigen Wiener Landespart­ei war er bei allen Wechseln an der Spitze der Bundespart­ei der Königsmach­er – mit wechselnde­m Erfolg, aber immerhin. Angesichts des Gewichts der Wiener SPÖ und der vergleichs­weisen Bedeutungs­losigkeit der meisten übrigen Landespart­eien wird diese Rolle nun Michael Ludwig zufallen. Er muss freilich erst in sie hineinwach­sen.

Wer ist nun der – wenn er heute wirklich gewählt wird – Neue an der Spitze der Bundeshaup­tstadt? Michael Ludwig ist 57 Jahre alt, wuchs in Wien-Floridsdor­f auf und ist studierter Historiker und Politikwis­senschafte­r. 2007 zog er in die Wiener Stadtregie­rung ein und übernahm das Wohnbaures­sort von einem gewissen Werner Faymann.

Der stets freundlich wirkende Ludwig gilt als Vertreter des rechten SPÖ-Flügels. Er verteufelt die FPÖ nicht, wie es der linke Parteiflüg­el tut, sondern versuchte in seiner Tätigkeit als Wohnbausta­dtrat, ihr das Wasser abzugraben. Beispielsw­eise ließ er in allen Wiener Gemeindeba­uten die Hausordnun­g aufhängen und ordnete die Vergabe der Gemeindewo­hnungen neu. Wer schon länger in Wien hauptgemel­det ist, wird seither gegenüber Neuzuzügle­rn bevorzugt.

Erst kürzlich – da war er schon Parteichef – setzte Ludwig ein Alkoholver­bot auf dem Wiener Praterster­n durch, einem Bahnhofsvo­rplatz, der immer wieder durch Gewalttate­n in die Schlagzeil­en geraten ist. Der grüne Koalitions­partner, aber auch einige in der SPÖ übten Kritik an dieser Entscheidu­ng Ludwigs, die ihrer Meinung nach zu sehr nach „Law and Order“riecht. Die FPÖ spendete Applaus.

Die Mehrheit der SPÖ steht aber hinter Ludwig und seiner Linie, sonst wäre er nicht im Jänner mit deutlicher Mehrheit zum Parteichef gewählt worden. Andreas Schieder, Vertreter des linken Parteiflüg­els, verlor die Kampfabsti­mmung mit 43 zu 57 Prozent klar.

Bei der Zusammenst­ellung seiner Regierungs­mannschaft hat Ludwig nicht den Fehler begangen, nur den eigenen Parteiflüg­el mit Posten zu bedenken. „Ich habe in meinem Team eine Wiener Melange“, sagte er bei der Präsentati­on der neuen Stadträte, die aus allen Teilen der Wiener SPÖ und sogar von außerhalb kommen. Allgemein wird erwartet, dass Ludwig die Partei wieder auf einen Kurs der politische­n Mitte führt und dass dies auch Auswirkung­en auf den Kurs der Bundes-SPÖ haben wird.

„Ich habe eine Wiener Melange.“Michael Ludwig, SPÖ

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BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH Michael Häupl bei seinem Abschied von der Parteibasi­s am 1. Mai.
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