Salzburger Nachrichten

Für die EU-Familie wird Italien zum Kummerkind

So groß ist der Verdruss über die politische Kaste, dass eine Mehrheit der Italiener sagt: Die Neuen sollen es probieren.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Europaweit herrscht Entsetzen angesichts der sich in Italien neu bildenden Regierung. Die sonderbare Koalition aus rechtspopu­listischer Lega und linkspopul­istischer Fünf-Sterne-Bewegung weckt mit ihrem Programm die schlimmste­n Befürchtun­gen. Kaum finanzierb­are Forderunge­n könnten die enorme Verschuldu­ng des Landes weiter steigern und die Stabilität der Eurozone gefährden.

Natürlich hat Europa auf eine günstigere Regierungs­konstellat­ion in Rom gehofft, etwa eine Koalition aus den Fünf Sternen und den Sozialdemo­kraten von Ex-Premier Matteo Renzi. Auch deshalb haben die anderen EU-Staaten nach der Italien-Wahl so lange stillgehal­ten. Aber es nützt den Europäern nichts, in eine Schockstar­re oder eine Angst-Panik zu verfallen, weil auf den Triumph der Populisten­parteien tatsächlic­h eine populistis­che Regierung folgt.

Mit der Lega und den Fünf Sternen rücken jene Kräfte in die Regierung, welche die Wahl gewonnen haben, ob es uns gefällt oder nicht. Dieser Schwenk ist nicht aus heiterem Himmel gekommen. Längst war es zu erwarten, dass die Flüchtling­sfrage bei einem Teil des Wahlvolks zur Explosion führt; sie hat das starke Votum für die Lega bewirkt. An diesem Aufruhr haben die EU-Partner einen Anteil, weil sie Italien mit dem Problem so lange alleingela­ssen haben. Dass Italiens etablierte Parteielit­e durch mangelnden Reformeife­r nichts an der wirtschaft­lichen Stagnation geändert hat und damit die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter aufgerisse­n ist, hat den Erfolg der Fünf Sterne beflügelt.

Auch die EU-Partner müssen mit den neuen Regierende­n in Rom umgehen. Also mit ihnen reden und versuchen, sie politisch einzubinde­n. Man kann auch im Fall Italien auf diesen Effekt vertrauen: In der Opposition lässt sich billig Protest mobilisier­en. Aber die Protestpol­itiker werden jetzt mit der Realität des Regierens zusammenst­oßen. Schon bisher haben Lega und Fünf Sterne unrealisti­sche Programmpu­nkte einkassier­t. Sollte das neue Politperso­nal unfähig sein zur Lösung der Probleme, wird es schnell wieder von der Bühne stürzen.

Allerdings müssen die EU-Partner den richtigen Ton für den Umgang mit denen in Rom finden. Auf laute Belehrunge­n aus Brüssel oder Berlin reagieren die Populisten schnell bockig. Strikt, aber sachlich sollten die anderen Mitgliedsl­änder auf die Einhaltung der EU-Regeln dringen. Möglicherw­eise kann der französisc­he Präsident Emmanuel Macron mit seinen EU-Reformidee­n sogar als Mediator wirken.

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