Ein anderes Europa
Wie die kommende EU-Parlamentswahl die politische Landschaft prägen wird. Und was das für die EU bedeutet.
BRÜSSEL. Die Österreicher wissen wenig über das Europäische Parlament (EP). Nur ein Drittel fühlt sich „sehr gut“bzw. „eher gut “darüber informiert, was in der einzigen direkt gewählten EU-Institution passiert, wie eine aktuelle Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik zeigt. In der EU-Abgeordnetenkammer spielen sich allerdings durchaus interessante Dinge ab.
Bei der nächsten EU-Wahl genau in einem Jahr könnte sich die politische Landschaft völlig verändern. Euroskeptiker von rechts und weniger stark von links oder auch die EU-freundliche Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, En Marche, werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch dort die Dominanz der etablierten Parteienfamilien brechen. Denn die Mehrheit der Europäer traut neuen Bewegungen und Anti-Establishment-Gruppierungen eher zu, die notwendigen Veränderungen zu schaffen. Was das für die Wahl des künftigen EU-Kommissionspräsidenten heißt, der ja der Spitzenkandidat der stimmenstärksten Fraktion sein soll, ist noch gar nicht absehbar.
Bei der letzten Wahl zum EU-Parlament 2014 haben die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten (S&D) zusammen noch 53 Prozent der Stimmen erreicht. Sie bilden seit jeher eine Art Große Koalition, sorgen für die notwendigen Mehrheiten bei Abstimmungen. Und sie teilen sich je zur Hälfte der Legislaturperiode den Präsidentensessel. Aktuell hat ihn Antonio Tajani von der EVP-Fraktion inne – er kommt von Silvio Berlusconis Forza Italia. Vor ihm war Martin Schulz EU-Parlamentspräsident, der danach für die SPD gegen Angela Merkel angetreten ist und über dessen Comeback als Spitzenkandidat der S&D-Fraktion in Berlin und Brüssel spekuliert wird.
Allerdings wackeln gerade bei den europäischen Sozialdemokraten, derzeit mit 189 Sitzen noch die Nummer zwei im EP, viele Mandate, weil sie in etlichen großen Ländern zuletzt Wahlen verloren haben. Die jetzt stimmenstärkste EVP-Fraktion (219 Sitze) wiederum hat unter ihrem Dach EU-kritische Parteien wie die Fidesz von Ungarns Premier Viktor Orbán. Das gefällt auch intern vielen nicht. Ihr Spitzenkandidat von 2014, Jean-Claude Juncker, ist heute Kommissionspräsident. Mit wem die Konservativen diesmal ins Rennen gehen, wird im November entschieden.
Spannend wird, wie die rechtspopulistischen Europagegner und EU-Kritiker im Parlament, die sich auf mehrere Fraktionen verteilen, die Wahl anlegen. Bei der ENF (Europa der Nationen und der Freiheit), der neben der französischen Front National und der italienischen Lega Nord auch die FPÖ angehört, gibt es laut FPÖ-Obmann und Vizekanzler Heinz-Christian Strache Überlegungen für einen Spitzenkandidaten. „Wir brauchen es nicht, aber der Entwicklung können wir uns wohl nicht entziehen“, sagte er. Er selbst werde aber nicht antreten.
Bedeckt hält sich bisher Macrons La République En Marche. Im Hintergrund wird ähnlich wie bei der französischen Präsidentschaftswahl bereits aktiv für die EU-Wahl geworben, es finden Bürgerdialoge und Veranstaltungen statt. Über Namen und vor allem mögliche Allianzen will man aber erst im Jänner entscheiden. Das heizt Spekulationen über mögliche „Überläufer“aus anderen Fraktionen an. Mit einer deutschen SPD-Mandatarin wurde schon Kontakt aufgenommen. Als logische Verbündete Macrons haben sich bereits wiederholt die Liberalen (ALDE) und ihr Fraktionsvorsitzender Guy Verhofstadt angeboten. Sie sind seit 2014 mit 68 Sitzen nur noch die viertstärkste
„Wir können uns dem nicht entziehen.“Heinz-Christian Strache, FPÖ-Chef
Parteienfamilie und würden gern wieder wachsen.
Fraglich ist, was aus der heute drittstärksten Fraktion, der konservativ-nationalistischen EKR wird, in die sich die britischen Tory-Abgeordneten abgespalten haben. Ihr gehören EU-Skeptiker wie die polnische Regierungspartei PiS an, die sich auch mit anderen Populisten zusammentun könnten. Und sie könnten mit ihrer harschen AntiEU-Rhetorik durchaus erfolgreich beim Stimmenfang sein.
Das EU-Parlament will mit einer breiten Kampagne das Interesse gerade jüngerer Europäer an der Wahl erhöhen – und damit die Wahlbeteiligung. 2014 ist sie zum siebten Mal in Folge gefallen, auf rund 43 Prozent. In der Slowakei gingen gar nur 13 Prozent der Wahlberechtigten hin, Österreich lag mit 45,4 Prozent etwas über dem Durchschnitt. Spitzenreiter war Belgien mit fast 90 Prozent Wahlbeteiligung, allerdings herrscht dort Wahlpflicht. Wenn mehr Junge zur EU-Wahl gehen, könnte das ein Nachteil für die alteingesessenen Parteien sein. Fast zwei Drittel der unter 24-Jährigen glauben laut einer EurobarometerUmfrage, dass neue Bewegungen bessere Lösungen haben.