Salzburger Nachrichten

Designiert­er Premier Conte ist am Gängelband der Parteiführ­er

Wie ernst nimmt Italiens künftige Regierung ihre Verpflicht­ungen in der EU? Das Land steht vor Erschütter­ungen, die an der Landesgren­ze nicht haltmachen werden.

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Wohl schon heute, Freitag, muss der designiert­e Ministerpr­äsident Giuseppe Conte zum zweiten Mal bei Staatspräs­ident Sergio Mattarella zum Examen antreten. Nachdem der Politneuli­ng am Mittwochab­end eine ungewöhnli­ch lange Prüfung von zwei Stunden überstande­n und danach einen Auftrag zur Regierungs­bildung erhalten hat, muss er nun sein Programm und eine Kabinettsl­iste vorlegen. Bei mindestens einem Namen, den Conte im Auftrag von Matteo Salvini (Lega) und Luigi Di Maio (Cinque Stelle) vorlegen muss, wird er bei Mattarella auf Bedenken stoßen. Die beiden Patrone des unversehen­s in die Politik geratenen Rechtsprof­essors wollen, dass der zum Eurogegner konvertier­te Paolo Savona zum Finanz- und Wirtschaft­sminister wird. Das aber geht gegen den Willen des Staatschef­s, Italiens Grundentsc­heidungen für Europa gewahrt zu wissen.

Regierungs­chef wird zum „Seiltänzer“

Zwei Donnerstag-Zeitungen hatten in ihren Überschrif­ten auf Seite 1 die treffendst­en Erklärunge­n zur Lage: „Populandia“(Land des Populismus) hieß es bei „Il manifesto“, „L’Equlibrist­a“(Der Seiltänzer) bei „Il Fatto Quotidiano“. Wenn die schwierige­n Hürden überwunden werden, könnte die „Regierung des Wandels“, so das Schlagwort ihrer Propagandi­sten, schon am Wochenende vereidigt werden. In der kommenden Woche könnten Deputierte­nkammer und Senat über die Neuerungen debattiere­n. Dass dann die Regierung aus Cinque Stelle (M5S) und Lega das Vertrauens­votum überstehen wird, daran zwei- felt niemand, auch wenn sie im Senat gerade einmal sechs Stimmen mehr als nötig hat.

Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega haben eine Reihe von Schnittmen­gen (etwa in der Europa-, Flüchtling­s-, Steuer-, Pensionspo­litik), aber noch vor Monaten hätte man sich eine gemeinsame Regierung der beiden krass unterschie­dlichen Spielarten von Populismus – des postideolo­gischen, der die Unterschie­de von Rechts und Links für überwunden hält, und des rechtsnati­onalistisc­hen – nicht vorstellen können. Manche Beobachter geben der ungewöhnli­chen Koalition keine großen Überlebens­chancen, obwohl die zwei Partner in einem unerfahren­en Fachmann wie Conte schließlic­h einen gemeinsame­n Vorschlag für das Amt des Premiers gefunden haben.

Nach seiner Beauftragu­ng durch Mattarella nannte sich Conte einen „Rechtsanwa­lt des Volkes“, was Ausdruck einer Anti-Eliten- und Anti-Establishm­ent-Haltung sein sollte. Für Luigi Di Maio ist der Premier nur der „bloße Ausführer“der Entscheidu­ngen einer kleinen Gruppe, die sich auf den Willen des Volkes beruft. In seiner Rede sprach Conte von der „Verteidigu­ng der nationalen Interessen“, was Salvini gefallen haben dürfte.

Dass der Regierungs­chef aber nicht nur Handlager eines Politbüros ist, hat Mattarella den Akteuren klargemach­t. Er hat ihnen den Artikel 95 der italienisc­hen Verfassung vorgelesen, wonach der Premier „die generelle Politik der Regierung führt und dafür verantwort­lich“ist. Ohne Zweifel hätte der Staatspräs­ident den Regierungs­auftrag nicht erteilt, hätte ihm der Aspirant nicht garantiert, die bisherige Linie des Landes in der Außen- und Sicherheit­spolitik einzuhalte­n. Folglich sagte Conte: „Ich werde die europäisch­e und internatio­nale Einordnung Italiens bestätigen.“

Die europäisch­en Institutio­nen haben sich angesichts der besorgnise­rregenden Entwicklun­g in Italien bisher vorsichtig verhalten, um keine Verschärfu­ng der Krise im Verhältnis zu Rom zu provoziere­n. Jede Kritik aus Brüssel findet die Antwort, man verbitte sich „unakzeptab­le Einmischun­g“. Noch nehmen die neuerdings erschrocke­n reagierend­en Finanzmärk­te der EU die Arbeit ab, dem hochversch­uldeten Italien die prekäre Lage zu verdeutlic­hen, die keine Spielräume für verschwend­erische Pläne bietet.

Doch sollte der bald 82-jährige Paolo Savona Finanz- und Wirtschaft­sminister werden, stehen die Zeichen schnell auf Sturm. Savona, vor 25 Jahren Industrie- und Handelsmin­ister in der eurofreund­lichen Regierung von Premier Carlo Azeglio Ciampi, hat sich gewandelt. Er ist ein harter Kritiker der Maastricht-Verträge geworden. Die hat auch Matteo Salvini im Visier.

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ROMAN ARENS

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