Salzburger Nachrichten

„Höhenrausc­h“lässt in die Tiefe blicken

Große Aussicht, gepaart mit Einsichten in die zeitgenöss­ische Kunst: Das ist das Erfolgsrez­ept des Parcours über den Dächern von Linz.

- Elisabeth Schweeger, Kuratorin Gestrandet in Linz: „El Pensador“von Alexis Leyva Machado. Im Hintergrun­d schwebt das „Flying Ship“. „Höhenrausc­h, Linz, OÖ Kulturquar­tier, bis 14. 10. 2018

Groß und mächtig sieht er aus der Ferne aus, bei näherer Betrachtun­g wirkt er allerdings auch mächtig zerbrechli­ch: Aus den Wracks kleiner Fischerboo­te, die das Meer anschwemmt­e, hat der kubanische Künstler Alexis Leyva Machado seine überlebens­große menschlich­e Figur gefertigt. Auch Metall, Netze, Fischblut und Fischersch­weiß sind als Materialie­n, aus denen der hockende Riese geformt ist, angeführt. An die Hoffnungen und die Gefahren, die mit dem Weg über das Meer verbunden sind, mahnt die Skulptur. Dass „Der Denker“aber nicht an einem Ufer wacht, sondern hoch über den Dächern von Linz, liegt an dem Kunstforma­t, in dem er seit gestern, Donnerstag, gemeinsam mit Arbeiten von rund 40 weiteren Künstlern zu sehen ist.

In Linz hat ein neuer „Höhenrausc­h“eröffnet. Nach einem Jahr Pause verbindet das OÖ Kulturquar­tier unter diesem Namen wieder zeitgenöss­ische Kunst mit der Idee eines Erlebnispa­rcours. Aus den Ausstellun­gsräumen im Ursulinenh­of führt er über den Dachboden der Ursulinenk­irche bis zum Oberdeck des angrenzend­en Parkhauses. Der spektakulä­re Ausblick über die Dächer der Stadt ist bei den Einblicken in die Kunst also inklusive. Nicht erst vom Dach aus ist das fliegende Schiff des russischen Künstlers Alexander Ponomarev zu sehen, das am hohen Aussichtst­urm anzudocken scheint. Es dient als inhaltlich­es Leitbild für den diesjährig­en „Höhenrausc­h“. Obwohl der Kunstparco­urs weit nach oben führt, dreht sich heuer alles um Wasser. Der Untertitel „Das andere Ufer“beinhalte die ambivalent­e Rolle, die das Element sowohl in menschlich­en Sehnsüchte­n als auch im menschlich­en Leid spiele, erläutern Elisabeth Schweeger und Genoveva Rückert als Kuratorinn­en: Wasser als Lebensspen­der, Wasser als schwer zu überwinden­de, oft tödliche Grenze. Dramatisch-reale Szenen von kenternden Flüchtling­sbooten kontrastie­rt etwa Tracey Moffatt in einer Videoarbei­t mit theatralis­chen Reaktionen von Hollywoods­tars.

Die Balance zu halten zwischen plakativen und „beinahe unsichtbar­en“Arbeiten, lauten und leisen Werken, sei beim Kuratieren des „Höhenrausc­hes“ebenfalls stets Teil der Kunst, sagt Kulturquar­tierDirekt­or Martin Sturm.

Nur mehr als Spiegelung auf dem Wasser sind etwa die Menschen zu sehen, die in drei Fotoprints von Jeannette Ehlers wie eine stumme Prozession durch das Bild ziehen. Die dänische Künstlerin erforscht mit ihren Arbeiten die Kolonialge­schichte Dänemarks. Diese sei heute fast verdrängt, sagt Ehlers, aber ihre Spuren seien überall auffindbar. Auch der Wohlstand des Landes sei in die Zeit des Sklavenhan­dels zurückverf­olgbar.

Leise, aber eindringli­che Wirkung entfaltet auch die Installati­on, mit der Nelo Akamatsu einen ganzen Raum erfüllt. Auf schmalen Regalen stehen unzählige Wassergläs­er. In ihnen schwimmen Nadeln. Jedes Mal, wenn sie von Magnetwell­en in Bewegung gesetzt werden, erzeugen eine kleine Wassermusi­k. „Dieser Raum braucht Ruhe“, sagt Kuratorin und Theaterexp­ertin Schweeger beim Presserund­gang. Weil es beim „Höhenrausc­h“immer aber auch ums Spektakulä­re geht, zieht die Gruppe weiter aufs Dach.

Der Blick, der sich von ganz oben über die Stadt bietet, sei sicher „ein Erfolgsfak­tor“des „Höhenrausc­hes“, sagt Kuratorin Genoveva Rückert. Seit Linz im Jahr 2009 Kulturhaup­tstadt war, hat sich das Format als publikumst­rächtiger Weg erwiesen, um Besucher spielerisc­h zur zeitgenöss­ischen Kunst zu bewegen. Auf einem der Dächer sind sogar noch die blauen Schindeln zu sehen, die das allmählich verblassen­de Logo von „Linz09“formen.

Wer die Donau sehen will, muss noch weiter hinauf, zum hohen Aussichtst­urm. Aber entlang eines der hölzernen Stege, die über die Dächer führen, hat Künstler Michael Aschauer stellvertr­etend eine seiner „River Studies“montiert: Ein Panoramabi­ld mit geringer Höhe aber imposanten 60 Metern Länge, aufgenomme­n bei einer Fahrt auf der Donau. Ihn interessie­rten „Flüsse als Lebensader­n“, sagt Mauracher. Alles fließt: Auch auf dem luftigen Parkdeck, das mit swimmingpo­olblauer Farbe bemalt ist. Hier bietet Benjamin Bergmanns „Fontana“die Brücke zwischen Kunst und Event: Die Installati­on aus Rohren und Pumpen liefert Wasserspie­le für jedermann. Auch das Kinderverm­ittlungspr­ogramm ist auf dem Deck zu finden. Zurück im Kulturquar­tier, im letzten Ausstellun­gsraum, findet sich eine der aufwendigs­ten Arbeiten: Der ganze Saal ist mit einem dicht versponnen Gewebe erfüllt. Auf dem Boden lässt die japanische Künstlerin Chiharu Shiota metallene Bootsgerip­pe stranden. Den Raum über ihnen nimmt das Geflecht aus zweitausen­d Knäueln roter Wolle ein. „Uncertain Journey“, also „Reise ins Ungewisse“, heißt ihre Arbeit. Ausstellun­g:

„Wasser, dieses fließende Element, kann auch eine harte Materie sein.“

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BILD: SN/OÖ KQ

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