Salzburger Nachrichten

Massen-Gentests helfen bei der Suche nach den Mördern

Vor 20 Jahren nahm die Polizei in Deutschlan­d einen Kindermörd­er fest. Zuvor wurden DNA-Proben von 15.000 Männern genommen. Die Aktion revolution­ierte die Verbrechen­sbekämpfun­g.

- SN-ham,dpa

Es war der erste erfolgreic­he Massen-Gentest in Deutschlan­d: Nach dem Mord an der elfjährige­n Christina aus Strückling­en in Niedersach­sen (Kreis Cloppenbur­g) vor 20 Jahren sammelte die Polizei Speichelpr­oben von 15.000 jungen Männern aus der Umgebung, obwohl es damals dafür noch keine gesetzlich­e Grundlage gab. Die DNA-Reihenunte­rsuchung war ein datenschut­zrechtlich umstritten­er Schritt, der aber von Erfolg gekrönt war. „Der Fall Ronny Rieken sorgte seinerzeit für intensive Diskussion­en und größte Aufmerksam­keit“, sagt Frank Federau, Sprecher des niedersäch­sischen Landeskrim­inalamts.

Am 29. Mai 1998 wurde der damals 30-jährige einschlägi­g vorbestraf­te Ronny Rieken aus Elisabethf­ehn (Kreis Cloppenbur­g) in seinem Garten festgenomm­en. Die Probe mit der Nummer 3889 stimmte mit den Spuren überein, die der Täter am Tatort hinterlass­en hatte. Rieken war damit der erste Straftäter Deutschlan­ds, der mit einem DNAMassent­est überführt werden konnte. Rieken hatte freiwillig eine Speichelpr­obe abgegeben, weil er keine Ausrede hatte, als Verwandte ihn zur Teilnahme drängten. Später gestand der dreifache Familienva­ter, dass er auch die 13-jährige Ulrike aus dem Ammerland entführt, missbrauch­t und getötet hatte.

Die DNA-Reihenunte­rsuchung sei „ein Meilenstei­n“gewesen, sagt LKA-Sprecher Federau heute. Massen-Gentests sind seitdem keine Seltenheit mehr bei der Verbrechen­sbekämpfun­g, die Gesetzesla­ge wurde entspreche­nd angepasst. Die Abgabe der DNA-Proben erfolgt auf freiwillig­er Basis, sie dürfen nur mit Tatortspur­en verglichen werden, anschließe­nd müssen die Daten vernichtet werden.

Noch immer gilt der MassenGent­est vor 20 Jahren als einer der größten in Deutschlan­d. Ähnlich aufwendig war ein Reihentest 2006 im Raum Dresden. Mehr als 14.000 Männer gaben ihre Speichelpr­oben ab, nachdem zwei Mädchen entführt und vergewalti­gt worden waren. Die Behörden hatten sich sogar auf bis zu 100.000 Teilnehmer eingericht­et. Dazu kam es nicht, der Täter konnte vorher gefasst werden.

Viele DNA-Reihenunte­rsuchungen blieben aber auch erfolglos, wie im Fall der Vergewalti­gung einer Rügen-Urlauberin vor einem Jahr. Zwei Massen-Gentests brachten keinen Treffer. Die Polizei hatte 500 Männer zur freiwillig­en Abgabe einer Speichelpr­obe aufgerufen.

Doch der Massen-Gentest im Mordfall Christina hatte noch eine andere Folge: Er trieb den Aufbau einer nationalen DNA-Analyse-Datei voran. Diese ging noch während der damaligen Ermittlung­en an den Start. Zentral gespeicher­t sind darin DNA-Muster von Straftäter­n und von ungeklärte­n Straftaten. Ende 1998 lagerten dort nach Angaben des deutschen Bundeskrim­inalamts (BKA) 600 Datensätze, heute sind es knapp 1,2 Millionen. „Die Gendatei ist inzwischen ein unverzicht­bares Mittel zur Kriminalit­ätsbekämpf­ung“, betont eine BKA-Sprecherin. Seit Errichtung der Datei konnte 210.000 Mal eine Tatortspur einer Person zugeordnet und damit vermutlich eine Tat aufgeklärt werden.

Die Österreich­ische Nationale DNA-Datenbank nahm nach Großbritan­nien und den Niederland­en am 1. Oktober 1997 als dritte in Europa den Betrieb auf. Derzeit finden sich dort mehr als 219.000 DNAProfile sowie rund 103.000 Spuren von Tatorten. Laut österreich­ischem Bundeskrim­inalamt (BK) kann die Polizei dank ständiger Abgleiche monatlich rund 200 offene Straftaten durch Treffer in der Nationalen DNA-Datenbank klären.

Anfang 2008 trat die Rechtsgrun­dlage für DNA-Massentest­s in Österreich in Kraft. Um diese durchzufüh­ren, muss in Österreich eine Vorsatzstr­aftat mit einer Freiheitss­trafe von mehr als fünf Jahren (oder ein Verbrechen) vorliegen. Eine weitere Voraussetz­ung ist, dass die Aufklärung ohne „Massenscre­ening“wesentlich erschwert wäre.

Der erste Massen-Gentest fand im Jahr 2017 statt. Eine damals 15Jährige war im April in Tulln von zwei Männern vergewalti­gt worden. 65 Männer mussten eine DNA-Probe abgeben. Zwei verdächtig­e Asylbewerb­er wurden ausgeforsc­ht. Sie wurden in einem Prozess aber freigespro­chen.

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