Salzburger Nachrichten

20 Jahre Zukunft: Auf dem Weg zur „European University“

Der Bologna-Prozess kämpft auch nach 20 Jahren noch mit Kinderkran­kheiten. Minister Faßmann zeigte sich in Paris von der Idee europäisch­er Spitzenuni-Netzwerke fasziniert.

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Der Student Camille Fournis steht etwas hemdsärmel­ig auf dem Podium des altehrwürd­igen Auditorium­s der noch altehrwürd­igeren Sorbonne-Universitä­t und erklärt, wie er im Rahmen eines Universitä­ts netzwerks von mehr als 50 technisch-orientiert­en Unis mit einem zweijährig­en Austauschp­rogramm studierte.

Er erzählt, dass er mit zwei Diplomen von zwei Universitä­ten abschließt, Freunde aus aller Welt gefunden hat und nun sein PhD-Studium angeht.

Uni-Experte Jérôme Legrix berichtet von offenen Onlinekurs­en, bei denen auch Prüfungen via Skype möglich sind – mit 360-Grad-Kameras, damit niemand schwindelt. Helge Schwitters von der Europäisch­en Studentenu­nion schwärmt vom Ziel, die Zahl der Studenten, die Auslandsau­fenthalte absolviere­n, mehr als zu verdoppeln.

Auch 70 Bildungsmi­nister kamen zur Minister konferenz zum Europäisch­en Hoch schulraum in Paris, um dem Bologna-Prozess neuen Schwung zu geben. Die (Uni-)Zukunft hat schon begonnen – in Richtung des von Emmanuel Macron angeregten Aufbaus neuer europäisch­er Uni-Netzwerke, des Aufbruchs zur Digitalisi­erung und einer steten Verbesseru­ng des teils immer noch mit Kinderkran­kheiten behafteten Bologna-Prozesses.

Eigentlich hat die europäisch­e Hochschulz­ukunft schon vor 20 Jahren begonnen – in Paris an der Sorbonne. In der Sorbonne-Erklärung gaben Frankreich, Großbritan­nien, Italien und Deutschlan­d am 25. Mai 1998 den Startschus­s für die große europäisch­e Hochschulr­eform. Bis heute verpflicht­eten sich 48 Staaten freiwillig zur Umstellung auf Bachelor und Master und das grundsätzl­iche große Ziel verstärkte­r studentisc­her Mobilität.

Heute plagen Bologna nationale Egoismen ebenso wie diverse Kinderkran­kheiten, etwa Probleme mit der grenz- oder universitä­tsübergrei­fenden Anerkennun­g von Abschlüsse­n oder beim Qualitätsm­anagement. Auch zur sozialen Durchmisch­ung an den Unis hat Bologna nicht im erhofften Ausmaß beigetrage­n.

Die mit Bologna verbundene massive Umstellung hatte seiner- zeit auch die heimischen Unis, die gerade mit der Umsetzung des Universitä­tsstudieng­esetzes 1997 beschäftig­t waren, auf dem falschen Fuß erwischt. Die Fachhochsc­hulen, die gerade dabei waren, ihre Strukturen aufzubauen, taten sich da leichter. In Österreich haben 100 Prozent der Fachhochsc­hulen auf Bachelor- und Masterstud­iengänge umgestellt, von den Unis alle bis auf Medizin, Jus, katholisch­e Theologie und einige Kunststudi­en.

Die immer wieder kritisiert­e stärkere Verschulun­g werde zu Unrecht primär dem Bologna-Prozess angelastet, sagte Wissenscha­ftsministe­r Heinz Faßmann am Rande der Ministerko­nferenz. Die stärkere „Strukturie­rung“der Studien sei damals durch die zeitgleich­e enorme Zunahme der Studentenz­ahlen notwendig geworden. Zudem hätten viele Unis beim Übergang auf das Bologna-System versucht, vierjährig­e Magisterst­udien in dreijährig­e Bachelorst­udien zu zwängen. Nur 20 Prozent schließen das Bachelorst­udium in der Regelstudi­enzeit ab.

Für Faßmann sind mit Bologna bei aller Kritik die Freiheitsg­rade und die Variations­möglichkei­ten für die Studierend­en stark gewachsen. Der Vizepräsid­ent der Universitä­tenkonfere­nz, Oliver Vitouch, sieht vor allem den Studentena­ustausch als ganz „wesentlich­en Motor der europäisch­en Integratio­n“. Das Unterfange­n, die Attraktivi­tät des Raums Europa für hochschuli­sches Studium und als Forschungs­raum weiterzuen­twickeln, sei derzeit aber mit Problemen konfrontie­rt. Denn es gebe Länder – „und zwar nicht nur die Türkei, sondern unmittelba­re Nachbarn Öster- reichs“–, wo durch das Wiedererst­arken populistis­cher und autoritäre­r Bewegungen „auch die Entwicklun­gen an den Universitä­ten bedenklich­e sind“. Hier sei das vereinte Europa gefordert, dafür zu sorgen, dass universitä­re Grundwerte gewahrt blieben.

Für Faßmann ist die von Macron im Vorjahr gestartete Initiative, Netzwerke europäisch­er Universitä­ten zu schaffen, eine mögliche Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Bologna-Prozesses. „European Universiti­es“sollen als Allianzen europäisch­er Unis Studenten die Möglichkei­t geben, besonders qualifizie­rte Abschlüsse zu erreichen, indem sie Studien in verschiede­nen EUStaaten verbinden. Faßmann sprach von der Idee, fünf exzellente europäisch­e Unis zusammenzu­schließen, die zum universitä­ren „Leuchtturm“werden könnten. So könnte man auch einem chinesisch­en Studenten, der zwischen Harvard und dem MIT schwanke, mit „European Universiti­es“eine europäisch­e Alternativ­e anbieten.

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BILD: SN/GRANDIN 70 Bildungsmi­nister, darunter Heinz Faßmann, suchten in Paris nach universitä­ren „Leuchttürm­en“.
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Helmut Schliessel­berger berichtet für die SN aus Paris

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