Angst gegen Hoffnung: Kolumbien wählt
Das Gespenst Venezuela dominierte in der politischen Debatte. Damit sollten die Chancen des linken Kandidaten verkleinert werden.
Angst ist ein guter Wahlkampfhelfer. Besonders in Lateinamerika kann man damit hervorragend Stimmung machen und Stimmen gewinnen. Die traditionellen Parteien und Eliten setzen auf Angstkampagnen, wenn „antisystemische“Kandidaten sie von der Macht zu vertreiben drohen.
Man kann gerade in Kolumbien wunderbar sehen, wie das funktioniert. In dem südamerikanischen Land wird am Sonntag ein neuer Präsident gewählt. Und vor allem die Rechtsaußen-Partei Centro Democrático des früheren Präsidenten Álvaro Uribe setzt nicht auf Wahlversprechen, sondern auf Einschüchterung der Wähler. In Städten wie Bucaramanga und Medellín prangen gut sichtbar riesige Plakate des Centro Democrático, auf denen ironisch steht: „Vote para que Colombia no sea otra Venezuela“. Frei übersetzt heißt das: Wer nicht will, dass sich Kolumbien in ein zweites Venezuela verwandelt, muss am Sonntag Iván Duque wählen. Der 41 Jahre alte Senator strebt für die Rechtspartei die Präsidentschaft an. Er führt in allen Umfragen deutlich.
Die Krise im Nachbarland hat den Wahlkampf in Kolumbien stärker dominiert als das wichtige Thema des Friedensprozesses mit der FARC. Mehr als eine Million venezolanische Flüchtlinge sind in den vergangenen zwei Jahren angesichts der schweren Versorgungskrise nach Kolumbien ausgewandert und stellen das Land vor enorme Herausforderungen.
„Das Thema Venezuela ist über diesem Wahlkampf geschwebt“, sagt Andrés Molano vom Politischen Institut Hernán Echavarría in Bogotá. Und vor allem das Centro Democrático habe ein Gespenst aufgebaut, das sich „Castro-Chavismo“nenne und auf Venezuelas verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez und den früheren kubanischen Präsidenten Fidel Castro anspiele. Jeder bekommt dieses Etikett verpasst, der nur ein wenig links der Mitte in Kolumbien liege. Besonders gilt das für Gustavo Petro (58), der für die Koalition Colombia Humana (Humanes Kolumbien) ins Rennen geht. Um ihn scharen sich fast alle linken und sozialen Bewegungen Kolumbiens.
Petro setzt auf Themen wie Gesundheit, Bildung, gleichgeschlechtliche Ehe, Gerechtigkeit. Er hat damit vor allem bei den untersten Schichten der Gesellschaft Erfolg, für die er sich in seiner Zeit als Bürgermeister von Bogotá zwischen 2012 und 2015 einsetzte. Petro vertrete den Dis- kurs der „Ausgegrenzten und Vergessenen“, während Duque den „Diskurs der Angst“vertrete, betont Ariel Ávila, Vizedirektor der „Stiftung für Frieden und Versöhnung“. „Für die Vertreter des Status quo riecht Petros Agenda einer liberalen modernen Gesellschaft mit Gleichberechtigung und Gender-Themen immer gleich nach Venezuela“.
„Dieser Wahlkampf ist der atypischste in der kolumbianischen Geschichte“, meint Ávila. Erstmals überhaupt stünden sich mit Duque und Petro „gegensätzliche Lager“gegenüber. Früher seien immer Kandidaten gegeneinander angetreten, die mehr oder minder aus dem Mitte-rechts-Lager kamen. „Aber mit einem dezidiert linken Kandidaten wie Petro ist es in Kolumbien jetzt so wie in Spanien, als plötzlich die Linkspartei Podemos auftauchte“, erläuterte Ávila. Petro, der in seiner Jugend einmal der M-19-Guerilla angehörte, wird am Sonntag vermutlich als Zweitplatzierter durchs Ziel gehen und in drei Wochen in einer Stichwahl wohl gegen Duque antreten.
Insgesamt fünf Kandidaten bewerben sich um die Nachfolge von Präsident Juan Manuel Santos, der in seinen acht Jahren Regierungszeit vor allem den Frieden mit den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“(FARC) vereinbart und damit einen mehr als 50 Jahre währenden bewaffneten Konflikt beendet hat. Geholfen hat ihm das nicht viel.
Der Friedensnobelpreisträger scheidet mit einer sehr niedrigen Zustimmungsquote aus dem Amt. Zum einen, weil viele Kolumbianer den Friedensprozess und seine Resultate ablehnen, aber auch, weil sich unter Santos das Wirtschaftswachstum abgeschwächt und die Korruption vergrößert haben. So spielt die Partei von Santos kaum eine Rolle in diesem Wahlkampf. Ihr Kandidat, der Ex-Vizepräsident Germán Vargas Lleras, liegt in den Umfragen auf dem vierten Platz.
Gewinnt also am Sonntag die Angstkampagne, wird es auch kritisch für den historischen Friedensprozess mit der FARC. Duque will das Abkommen zwar nicht wie sein politischer Ziehvater Uribe „in Stücke reißen“, aber er will entscheidende Veränderungen vornehmen. So stellt er vor allem die Straffreiheit für geständige Rebellen infrage.
Experten wie Andrés Molano halten das für Wahlkampfrhetorik. In Wahrheit sei es politisch kaum möglich, große Teile des Friedensvertrags zurückzunehmen, für den Kolumbien international viel Lob und auch Hilfsgelder erhalten hat. Zum anderen ist der Vertrag rechtlich über die Verfassung so abgesichert, dass er kaum angreifbar ist.