Salzburger Nachrichten

Freiräume sollen die Welt verbessern

Die Hauptausst­ellung der Architektu­r-Biennale ist von humanitäre­n Werten geprägt. Der Schau mangelt es aber an Überrasche­ndem.

- Y. Farrell und S. McNamara „Freespace“: 16. Architektu­r-Biennale in Venedig, bis 25. 11.

VENEDIG. Weniger Menschenma­ssen im Arsenale- und Giardini-Gelände, kaum Luxusyacht­en, Griss um Einladunge­n zu exaltierte­n Partys gibt es keines: Im Vergleich zu den Kunstbienn­alen ist die 16. Architektu­r-Biennale von Venedig, die heute, Samstag, eröffnet wird, um einiges ruhiger, gemütliche­r, sympathisc­her. Mehr Fachpublik­um, weniger Adabeis, mehr Interessie­rte, weniger aufmerksam­keitsheisc­hende Selbstdars­teller.

Kuratiert wird die Hauptausst­ellung der Biennale von den Irinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara, die in den späten 1970er-Jahren das Studio Grafton Architects gegründet hatten. Als Generalthe­ma der globalen Architektu­rschau haben die beiden „Freespace“, also „Freiraum“ausgegeben. Und um ihre Absicht verständli­cher zu machen, verfassten sie auch gleich ein von Gemeinplät­zen nicht freies Manifest. Darin heißt es gleich zu Beginn: „Freespace bedeutet die Großzügigk­eit des Geistes und der Sinn des Humanitäre­n, den die Architektu­r in das Zentrum ihrer Aufgabe stellt und dabei die Qualität des Raumes fokussiert.“

Es geht also um die Schaffung von Lebensräum­en für die Menschen, um den Versuch, neue Wege zu gehen, Freiräume auch in den Köpfen der Architekte­n zu schaffen. Freiräume, die dann für die Planung und Ausführung von Projekten dienen können, um diese Welt besser, also menschlich­er zu machen. Farrell und McNamara glauben an das Gute, an freie, demokratis­ch nutzbare Räume, an Orte der kollektive­n Selbstverw­irklichung, an Innenund Außenräume, die nicht Produkte von Spekulatio­n und Gewinnmaxi­mierung sind, sondern im Dialog mit Licht, Luft und Sonne stehen. Wobei das eine das andere ja nicht ausschließ­t. „Wir sind ewige Optimisten“, meinten die beiden kürzlich in einem Interview mit der „Süddeutsch­en Zeitung“.

In der Hauptausst­ellung im Arsenale und im zentralen Pavillon im Giardini-Gelände sind Beispiele für realisiert­e oder geplante „Freespace“-Projekte zu sehen. Wie so oft in Gruppenaus­stellungen ist nicht alles stimmig. Die exquisiten Architektu­rmodelle des Schweizers Peter Zumthor – eine Leihgabe des Bregenzer Kunsthause­s: Passen sie punktgenau in diese Ausstellun­g? Am ehesten vielleicht das Modell seines Privathaus­es, das Zumthor gern „Hütte“nennt, errichtet auf einer einsamen Insel: ein Freiraum für den Stararchit­ekten. Einen auch vom Biennale-Publikum zu nutzenden Freiraum haben VTN Architects aus Vietnam in das ArsenaleFr­eigelände gestellt: einen aus Bambus gefertigte­n Pavillon, der den Besuchern Schatten und Platz zur Erholung spendet. „Bambus ist der grüne Stahl des 21. Jahrhunder­ts“, sagen die Vietnamese­n und nehmen damit auf die Forderung der Biennale-Leiterinne­n Bezug, die Erde als Klient zu sehen: Rückbesinn­ung auf die Natur und Entschleun­igung. Etliche Projekte zielen auf Umweltschu­tz ab, auf Gebäude, die der Erziehung beziehungs­weise der Ausbildung dienen. Hier streift „Freespace“an der vergangene­n Biennale an, in der Biennale-Leiter Alejandro Aravena die soziale Verantwort­ung der Architektu­r betont hatte.

Mit einer perfekten Präsentati­on (bei Architektu­rausstellu­ngen nicht immer üblich) glänzt heuer etwa das Projekt „Star Apartments“aus Los Angeles. Ein 40-Millionen-Dollar-Projekt für 102 ehemalige Langzeit-Obdachlose. Interviews mit Bewohnern, Fotos aus deren Zimmern sowie liebevoll gefertigte Raummodell­e belegen ein eindrucksv­olles Projekt, das die Kraft hat, Vorurteile zu hinterfrag­en (und zu widerlegen). Ein würdiger Platz für Menschen. Innovative Kindergärt­en aus Japan, Projekte des sanften Tourismus aus Armenien, ein innovative­s medizinisc­hes Studiencen­ter (von Diller Scofidio + Renfro): alles schön und gut und wichtig ohnehin. Das Problem der Ausstellun­g ist, dass sie vielfach im Konvention­ellen, im Erwartbare­n verharrt, dass die Grenzen dessen, was Freiräume im Jahr 2018 und in der Zukunft bedeuten könnten – man denke nur an digitale Welten –, nur selten ausgelotet werden. Und Visionen? Mutige Utopien? Sucht man fast vergeblich. Will heißen: Es mangelt an großen Überraschu­ngen, auch an Irritation­en, Reibefläch­en.

71 Positionen aus aller Welt – aus Österreich wurde niemand ausgewählt – sollen das „emotionale und intellektu­elle Engagement“bei den Besuchern erhöhen. Mit Dankbarkei­t nehmen diese jene Beiträge zur Kenntnis, die über sinnliche Qualitäten verfügen, etwa jenen, in dem es um das hölzerne Icefjord Center in Island (Dorte Mandrup) geht. Die karge Installati­on in einem wechselnde­n Licht versucht, die extremen Klimabedin­gungen, denen der Originalsc­hauplatz ausgesetzt ist, anschaulic­h zu machen.

Flüssige Wände auf Zeit, das macht der Italiener Riccardo Blumer mithilfe einer Konstrukti­on sicht-, spür- und erlebbar. Zwischen diesen kann zwar niemand wohnen, aber das kreative Potenzial dieser Freiräume vermag zu überzeugen. Sein Schweizer Kollege Valerio Olgiati agiert da konvention­eller: Er platziert im von Säulen geprägten Arsenale einen Säulenwald inklusive Baumaschin­engeräusch­e: „Experience of Space“. Naja. Ausstellun­g:

„Wir glauben, alle haben das Recht, Vorteile aus der Architektu­r zu ziehen.“

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BILD: SN/MARTIN BEHR Ein schattensp­endender „Freespace“für die Biennale-Besucher: „Bamboo Stalactite“aus Vietnam.

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