Freiräume sollen die Welt verbessern
Die Hauptausstellung der Architektur-Biennale ist von humanitären Werten geprägt. Der Schau mangelt es aber an Überraschendem.
VENEDIG. Weniger Menschenmassen im Arsenale- und Giardini-Gelände, kaum Luxusyachten, Griss um Einladungen zu exaltierten Partys gibt es keines: Im Vergleich zu den Kunstbiennalen ist die 16. Architektur-Biennale von Venedig, die heute, Samstag, eröffnet wird, um einiges ruhiger, gemütlicher, sympathischer. Mehr Fachpublikum, weniger Adabeis, mehr Interessierte, weniger aufmerksamkeitsheischende Selbstdarsteller.
Kuratiert wird die Hauptausstellung der Biennale von den Irinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara, die in den späten 1970er-Jahren das Studio Grafton Architects gegründet hatten. Als Generalthema der globalen Architekturschau haben die beiden „Freespace“, also „Freiraum“ausgegeben. Und um ihre Absicht verständlicher zu machen, verfassten sie auch gleich ein von Gemeinplätzen nicht freies Manifest. Darin heißt es gleich zu Beginn: „Freespace bedeutet die Großzügigkeit des Geistes und der Sinn des Humanitären, den die Architektur in das Zentrum ihrer Aufgabe stellt und dabei die Qualität des Raumes fokussiert.“
Es geht also um die Schaffung von Lebensräumen für die Menschen, um den Versuch, neue Wege zu gehen, Freiräume auch in den Köpfen der Architekten zu schaffen. Freiräume, die dann für die Planung und Ausführung von Projekten dienen können, um diese Welt besser, also menschlicher zu machen. Farrell und McNamara glauben an das Gute, an freie, demokratisch nutzbare Räume, an Orte der kollektiven Selbstverwirklichung, an Innenund Außenräume, die nicht Produkte von Spekulation und Gewinnmaximierung sind, sondern im Dialog mit Licht, Luft und Sonne stehen. Wobei das eine das andere ja nicht ausschließt. „Wir sind ewige Optimisten“, meinten die beiden kürzlich in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.
In der Hauptausstellung im Arsenale und im zentralen Pavillon im Giardini-Gelände sind Beispiele für realisierte oder geplante „Freespace“-Projekte zu sehen. Wie so oft in Gruppenausstellungen ist nicht alles stimmig. Die exquisiten Architekturmodelle des Schweizers Peter Zumthor – eine Leihgabe des Bregenzer Kunsthauses: Passen sie punktgenau in diese Ausstellung? Am ehesten vielleicht das Modell seines Privathauses, das Zumthor gern „Hütte“nennt, errichtet auf einer einsamen Insel: ein Freiraum für den Stararchitekten. Einen auch vom Biennale-Publikum zu nutzenden Freiraum haben VTN Architects aus Vietnam in das ArsenaleFreigelände gestellt: einen aus Bambus gefertigten Pavillon, der den Besuchern Schatten und Platz zur Erholung spendet. „Bambus ist der grüne Stahl des 21. Jahrhunderts“, sagen die Vietnamesen und nehmen damit auf die Forderung der Biennale-Leiterinnen Bezug, die Erde als Klient zu sehen: Rückbesinnung auf die Natur und Entschleunigung. Etliche Projekte zielen auf Umweltschutz ab, auf Gebäude, die der Erziehung beziehungsweise der Ausbildung dienen. Hier streift „Freespace“an der vergangenen Biennale an, in der Biennale-Leiter Alejandro Aravena die soziale Verantwortung der Architektur betont hatte.
Mit einer perfekten Präsentation (bei Architekturausstellungen nicht immer üblich) glänzt heuer etwa das Projekt „Star Apartments“aus Los Angeles. Ein 40-Millionen-Dollar-Projekt für 102 ehemalige Langzeit-Obdachlose. Interviews mit Bewohnern, Fotos aus deren Zimmern sowie liebevoll gefertigte Raummodelle belegen ein eindrucksvolles Projekt, das die Kraft hat, Vorurteile zu hinterfragen (und zu widerlegen). Ein würdiger Platz für Menschen. Innovative Kindergärten aus Japan, Projekte des sanften Tourismus aus Armenien, ein innovatives medizinisches Studiencenter (von Diller Scofidio + Renfro): alles schön und gut und wichtig ohnehin. Das Problem der Ausstellung ist, dass sie vielfach im Konventionellen, im Erwartbaren verharrt, dass die Grenzen dessen, was Freiräume im Jahr 2018 und in der Zukunft bedeuten könnten – man denke nur an digitale Welten –, nur selten ausgelotet werden. Und Visionen? Mutige Utopien? Sucht man fast vergeblich. Will heißen: Es mangelt an großen Überraschungen, auch an Irritationen, Reibeflächen.
71 Positionen aus aller Welt – aus Österreich wurde niemand ausgewählt – sollen das „emotionale und intellektuelle Engagement“bei den Besuchern erhöhen. Mit Dankbarkeit nehmen diese jene Beiträge zur Kenntnis, die über sinnliche Qualitäten verfügen, etwa jenen, in dem es um das hölzerne Icefjord Center in Island (Dorte Mandrup) geht. Die karge Installation in einem wechselnden Licht versucht, die extremen Klimabedingungen, denen der Originalschauplatz ausgesetzt ist, anschaulich zu machen.
Flüssige Wände auf Zeit, das macht der Italiener Riccardo Blumer mithilfe einer Konstruktion sicht-, spür- und erlebbar. Zwischen diesen kann zwar niemand wohnen, aber das kreative Potenzial dieser Freiräume vermag zu überzeugen. Sein Schweizer Kollege Valerio Olgiati agiert da konventioneller: Er platziert im von Säulen geprägten Arsenale einen Säulenwald inklusive Baumaschinengeräusche: „Experience of Space“. Naja. Ausstellung:
„Wir glauben, alle haben das Recht, Vorteile aus der Architektur zu ziehen.“