Sich ausruhen und nachdenken über das „Haus Europa“
65 Nationen präsentieren auf der Architektur-Biennale in Pavillons ihre Vorstellungen zum Generalthema „Freespace“.
VENEDIG. Eine moderne Agora im Blau der Europaflagge, zu hören ist die elektronisch verfremdete Europahymne: So sitzt das Publikum im belgischen Pavillon der Architektur-Biennale, ruht sich aus, beginnt, die Seitenräume zu erkunden oder vertieft sich im Katalog, der die Europasterne auf dem Cover hat. Der tiefere Sinn der Inszenierung? Man will auf den Mangel an Räumen für die Bürger im EU-Hauptquartier aufmerksam machen und zugleich zum Nachdenken über Europa als politische Idee animieren.
Wie reagieren die einzelnen Länder auf das von der Biennale-Leitung ausgegebene Thema „Freespace“? Nicht weniger als 65 Länderpräsentationen – unter ihnen erstmals auch der Vatikan – sind Teil der Architektur-Biennale, einige vermögen zu überzeugen. Da wäre einmal die Schweiz, die das Publikum in eine labyrinthartige „House Tour“schickt: Hier geht es nicht um Repräsentation von Architektur, sondern um den Bau von Repräsentation. In der zu betretenden Wohnung stimmen keine Proportionen, alles erscheint vertraut und doch aus dem Lot geraten zu sein. Das Ergebnis ist eine kulinarische Innenraum-Installation, die zur Reflexion über den zeitgenössischen Wohnungsbau animiert.
Wer den deutschen Pavillon betritt, sieht erst mal schwarz. Ein Kuratorenteam hat den ehemaligen, durch Deutschland führenden Mauerstreifen thematisiert. In der „Todeszone“von einst sind heute eine Reihe von Projekten realisiert, 28 davon werden erläutert. Diese Zahl ist nicht zufällig gewählt: 28 Jahre lang hat die Mauer existiert, seit nunmehr 28 Jahren ist Deutschland vereinigt. „Unbuilding Walls“zeigt, wie das Leben mit der Mauer in der Praxis aussehen kann, wie sich Vergangenheit und Gegenwart in der städtebaulichen Entwicklung von Berlin verbinden können. Fazit des Kuratorenteams: „Auch überwundene Mauern werfen lange Schatten.“
Vermutlich der radikalste Zugang zum Thema „Freespace“stammt aus Großbritannien. Der altehrwürdige Pavillon ist gänzlich leer geräumt, eine Meeresbrise weht durch die offenen Räume. Seitlich führt eine Metalltreppe auf das Dach des Gebäudes, in dem ein Cafébereich zum Verweilen einlädt. Die Aussicht in Richtung Lido ist ebenso neu wie empfehlenswert. Das Konzept stammt von Caruso St. John und Marcus Taylor und heißt kurz und bündig „Island“. Die „Feelgood“Stimmung wird im Laufe der Biennale durch eine Reihe von Veranstaltungen – Performances, Installationen und Diskussionen zum Thema „Freespace“ergänzt. Sehr aktuell und ganz und gar nicht ironiefrei ist der gemeinsame Beitrag von Tschechien und der Slowakei. „In Krumau kommen auf 12.000 Einwohner zwei Millionen Touristen pro Jahr: Viele Innenstadtwohnungen sind leer“, sagt ein Sprecher der fiktiven United Nations Real Life Organisation (UNES-CO). Er will Familien anwerben, die im Sommer nach Krumau ziehen: Statisten für ein „normales Stadtleben“. „Wenn das Projekt funktioniert, wäre das auch was für Venedig oder Salzburg“, heißt es.
Im exzellenten Pavillon der Niederlande wiederum ist unter anderem die „erste vollautomatische Küche der Welt“des Österreichers Hasso Gehrmann ein Thema, in einem Seitenraum kann man das Amsterdamer Bed-In von Yoko Ono und John Lennon nachspielen.