Salzburger Nachrichten

Warum die Nebenbahn stirbt 700 Kilometer Bahn in Niederöste­rreich weg

Die Demontage eines 18 Kilometer langen Teilstücks der Donauuferb­ahn zeigt vor allem eines: Es fehlt an modernen Verkehrsko­nzepten für Nebenstrec­ken. Das hat gravierend­e Folgen.

-

WIEN. Anton Gruber, der Bürgermeis­ter von Marbach an der Donau, ist fassungslo­s: Vor seiner Nase und ohne, dass er auch nur irgendwas dagegen tun könnte, wird in seiner Gemeinde gerade die Eisenbahn demontiert. Genauer gesagt: die Donauuferb­ahn. Seit 1909 verband sie auf einer Länge von 108 Kilometern Krems mit dem südlichen Mühlvierte­l. Nun wird ein 18 Kilometer langes Teilstück im Nibelungen­gau abgetragen. „Davor und danach saniert man, nur bei uns reißt man weg. Was hat das für einen Sinn? Die Strecke ist ja jetzt unterbroch­en.“Marbach lebt vom Tourismus, der Donauradwe­g führt vorbei und hoch droben thront Maria Taferl, Österreich­s zweitgrößt­er Wallfahrts­ort nach Mariazell. Für Gruber ist die Donauuferb­ahn „eine Erlebnisba­hn“. Mit der Schnelligk­eit der Westbahn sei sie freilich nicht vergleichb­ar, biete aber herrliche Aussicht auf den parallel fließenden Donaustrom.

Auch dem Schotterwe­rk Loja kommt das optimale Verkehrsmi­ttel endgültig abhanden. Rund 100.000 Tonnen müssen nun zur Westbahn transporti­ert werden – mittels Lkw, die allesamt durch Ybbs rollen. Ironie des Schicksals: Es handelt sich um Bahnschott­er, also Material für den Gleisunter­bau. Die Strecke entspricht nicht modernen Anforderun­gen. Man hätte einige Millionen Euro investiere­n müssen, um die Trasse auf Vordermann zu bringen.

Marbachs Bürgermeis­ter Gruber führt noch einen weiteren Vorteil der Bahnlinie ins Feld: „Das war stets eine Hochwasser­ausweichst­recke und im Ernstfall die einzige Verbindung.“Die Bundesstra­ße liegt viel tiefer und wurde oft von der Donau überschwem­mt. Und auch der Begriff Kulturgut fällt. Immerhin schlängelt sich die Bahn einige Kilometer stromabwär­ts durch die Wachau. Mit dem Unterschie­d, dass dort, vor allem im Sommer, sehr wohl weiterhin Tourismusv­erkehr abgewickel­t wird.

„Bahnstreck­en werden nicht einfach so eingestell­t. Wir haben uns sehr genau angeschaut, wo der Betrieb sinnvoll ist und wo nicht“, sagt Katharina Heider-Fischer von der Niederöste­rreichisch­en Verkehrsor­ganisation­sges.m.b.H., kurz: NÖVOG. Sie hat im Jahr 2010 sämtliche Nebenbahne­n von der ÖBB übernommen, die diese nicht mehr weiterbetr­eiben wollte. Für viele BahnBefürw­orter ist die NÖVOG der „Feind“, der verfallen lässt und schließlic­h demontiert. Doch greift etwas zu kurz.

Niederöste­rreich ist ein Paradebeis­piel dafür, was passiert, wenn man Nebenbahne­n über viele Jahrzehnte stiefmütte­rlich behandelt. Da kann die NÖVOG, wenn überhaupt, nur bedingt etwas dafür. Meist um die Jahrhunder­twende gebaut, waren Bahnstreck­en im Waldund Weinvierte­l, aber auch im Ybbs-, im Triestingt­al und im Marchfeld für die Bevölkerun­g die einzige Verbindung in die Ballungsze­ntren. Nicht selten lagen die das Bahnhöfe ein, zwei Kilometer außerhalb der Ortschafte­n. Etwa ab den 1980er-Jahren wich aus den Nebenstrec­ken kontinuier­lich das Leben. Die Folge: Auf knapp 700 Kilometern wurde der Personenve­rkehr sukzessive eingestell­t. Man fuhr lieber mit dem Bus, der mitten im Ort stehen blieb, oder gleich mit dem Auto. Heute erinnert an vielen Stellen nichts mehr daran, dass dort über ein Jahrhunder­t lang die Bahn gefahren ist, denn die Gleise wurden bereits abgetragen.

Harald Frey von der Technische­n Universitä­t Wien ärgert diese Entwicklun­g. „Man hat sich nur auf große Strecken konzentrie­rt. Das ist so, als würde ich mir den kleinen Finger abschneide­n, weil ich ihn eh nicht so oft brauche wie die anderen. Doch das Ganze muss man als Netz verstehen.“Als Positivbei­spiel nennt der Verkehrsex­perte die Taunusbahn in Deutschlan­d. Dort habe man profession­elle Wiederbele­gung betrieben. Mit dem Effekt, dass sich die Fahrgastza­hlen in wenigen Jahren verzehnfac­hten. Langsamfah­rstrecken wurden saniert, Haltestell­en verschöner­t, Zugänglich­keit verbessert, die Strecke aktiv in den Gemeinden beworben.

Während bei erfolgreic­hen Konzepten etwa der Bus als Zubringer zur Bahn dient, sei in Niederöste­rreich exakt das Gegenteil passiert. Dort ist der Bus parallel zur Bahn gefahren und hat diese nach und nach verdrängt. „In Vorarlberg und in der Steiermark gibt es Shuttlebus­se, die die Menschen zu den Bahnstatio­nen bringen. Wenn das alles gut abgestimmt ist, funktionie­rt es auch“, ist Frey überzeugt.

Was die Donauuferb­ahn betrifft, verweist man im Büro des niederöste­rreichisch­en Verkehrsla­ndesrates Ludwig Schleritzk­o (ÖVP) auf das Eisenbahng­esetz: „Der Betrieb wurde ja schon vor 2010 eingestell­t. Und wenn eine Strecke nicht genutzt wird, müssen wir uns an den Bescheid halten.“Sprich: die Gleise abtragen.

Für Harald Frey von der TU Wien eine gefährlich­e Entwicklun­g: „Wenn eine Strecke abgetragen wurde, kann ich eine neue Trasse nie mehr so bauen, weil nach neuen Richtlinie­n der Aufwand ein ganz anderer wäre. Prinzipiel­l spricht ja nichts dagegen, die Schienen zu belassen. Denn sind die Gleise einmal weg, ist es für immer Schluss mit der Eisenbahn.“

 ?? BILD: SN/TRÖSCHER ??
BILD: SN/TRÖSCHER

Newspapers in German

Newspapers from Austria