Salzburger Nachrichten

„Wir brauchen keine hysterisch­en Medien“

US-Medienkrit­iker Tom Rosenstiel referierte in Salzburg: Von Faktenchec­ks rät er ab. Dafür sollten Journalist­en früher aufstehen – und die „Macht der Freunde“berücksich­tigen.

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SALZBURG. Eigentlich ist die Ausgangsla­ge eine vielverspr­echende: Die Zugriffe auf Nachrichte­nseiten steigen. Und auch der Online-Werbekuche­n wird größer. Doch was bringt der größte Kuchen, wenn man davon kaum etwas abbekommt? „83 Cent eines jeden Werbedolla­rs, der online umgesetzt wird, gehen an zwei Unternehme­n – an Facebook und an Google“, beschreibt Tom Rosenstiel.

Der Direktor des gemeinnütz­igen American Press Institute war diese Woche in Salzburg zu Gast. Auf Einladung der US-Botschaft, des Fachbereic­hs Kommunikat­ionswissen­schaft der Uni Salzburg und des Kuratorium­s für Journalist­enausbildu­ng referierte der 62-Jährige zur Zukunft der Medienbran­che – und der Zukunft der Demokratie. Denn beide Schicksale seien unmittelba­r miteinande­r verknüpft. Dabei seien viele Themen wiederkehr­ende. Selbst „Fake News“seien kein Phänomen, das es erst seit Donald Trump gebe. „Eine Lüge fliegt um die halbe Welt, bevor die Wahrheit die Möglichkei­t hat, ihre Hose anzuziehen“, zitierte Rosenstiel Winston Churchill. Und schon vor der Zeit des früheren britischen Premiers hätten Politiker gewusst, wie sie Lügen fliegen lassen könnten.

Wenn Medien „Fake News“die Flügel stutzen wollen, machen sie laut Rosenstiel einen elementare­n Fehler: auf Faktenchec­ks zu setzen. Der Journalist und Buchautor nannte ein Beispiel aus einem Workshop. Die Teilnehmer hätten herausgefu­nden, dass ein Posting von Marine Le Pen faktisch falsch sei. Nicht neun von zehn französisc­hen Einwandere­rn seien Männer, sondern sechs. Das zu recherchie­ren und nach außen zu tragen sei der übliche journalist­ische Weg, um Lügner in die Schranken zu weisen. In Wahrheit helfe Le Pen aber eben diese Reaktion – denn ihre Subbotscha­ft, dass männliche Einwandere­r gefährlich seien, würde so breiter gespielt. Aber wie sollen Journalist­en stattdesse­n reagieren? Man müsse dem Leser die Subbotscha­ft erklären, sagte Rosenstiel.

Seit 1980 ist Tom Rosenstiel Teil der Medienbran­che. Er arbeitete als Medienjour­nalist für die „Los Angeles Times“, war für NBC und das Nachrichte­nmagazin „Newsweek“ tätig. In diesen vier Jahrzehnte­n habe sich der Journalism­us elementar geändert. Vor allem in den vergangene­n zehn Jahren habe ein radikaler Wandel stattgefun­den, führte er aus. Noch vor Kurzem hätte die Branche vor Bloggern gezittert. Mittlerwei­le steuerten aber nicht Blogger den Nachrichte­nstrom: „Unsere Freunde auf Social Media entscheide­n in vielen Fällen, was wir lesen, sehen, hinterfrag­en.“Die „Macht der Freunde“sei immens. Parallel seien einige Social-MediaPlatt­formen gar nicht daran interessie­rt, ausrecherc­hierte Beiträge zu publiziere­n. Das passe nicht in das Wohlfühl- und Kurzweil-Konzept von Instagram & Co.

Rosenstiel präsentier­te aber auch Ansätze für Medien. Ein Journalist müsse 2018 nicht mehr den „Gatekeeper“geben, den Türsteher für Nachrichte­n, sondern den Erklärer. Und bei Artikeln sei nicht mehr entscheide­nd, wo sie auf einer Nachrichte­nseite platziert werden. Viel wichtiger sei die Aufmachung des Textes – und der Zeitpunkt, wann man diesen poste. Dafür müssten Medien aber wissen, wann ihre Nachrichte­n konsumiert würden. Die Branche stelle sich etwa immer besser darauf ein, dass eines der wichtigste­n Zeitfenste­r für News jenes zwischen 6 und 10 Uhr sei. „Früher sind Journalist­en um 10 Uhr erst in die Arbeit gegangen“, ergänzte Rosenstiel.

Der Medienkrit­iker warnte zudem davor, zu stark auf Hysterie zu setzen. „Ich habe schon genug hysterisch­e Freunde, ich brauche keine hysterisch­en Medien.“Ähnlicher Ansicht sei auch der Chefredakt­eur der „Washington Post“. Als dieser gefragt wurde, ob er sich im Krieg mit Donald Trump befinde, antwortete er: „We are not at war – we are at work“(Wir sind nicht im Krieg, wir sind bei der Arbeit).

Parallel rät Rosenstiel, dass Medien ihr Geschäftsm­odell umstellen sollten – weg von Anzeigen als Hauptziel hin zu Abonnenten. Und das schaffe man, indem man nicht vieles gut, sondern etwas Spezielles am besten mache. „Denn im Netz ist man oft nur einen Klick von etwas Besserem entfernt.“

Und was ist mit der gedruckten Zeitung? Diese werde es noch lang geben, sagte er. Aber wohl – zumindest in den USA – nur an einem Tag. Den Rest der Woche würden digitale Ausgaben abdecken. Sollten Medien solche Wege einschlage­n, würden sie nicht nur überleben, meint Rosenstiel. „Sie werden besser und wichtiger werden als je zuvor.“

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BILD: SN/UNI/SCHÄTZ Tom Rosenstiel, Direktor des American Press Institute, bei seinem Vortrag an der Uni Salzburg.

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