Der Anzug, Teil drei
Der Herr Bundespräsident war im Fernsehen kürzlich dabei zu beobachten, wie er sich während einer Rede nachdenklich am Kopf kratzte. Einen aufmerksamen SN-Leser hat das, wie er berichtet, an einen weitschichtigen Amtsvorgänger Alexander Van der Bellens, nämlich an Kaiser Franz Joseph erinnert. Auch diesem passierten manchmal Dinge, die eigentlich protokollwidrig waren. Aber der Kaiser war derart populär, dass seine Versehen sofort „hoffähig“wurden und jedermann sie nachahmte.
Das berühmteste Beispiel dafür ist die Sache mit dem Westenknopf. Als der greise Monarch mehrmals vergaß, den untersten Knopf seiner Weste zu schließen, wurde das in Wien umgehend zur Mode. Bis heute lassen Männer, die zum Anzug noch eine Weste tragen, den untersten Knopf offen. Und das im hundertsten Jahr der Republik.
Es ist also durchaus möglich, dass es in Nachahmung des Herrn Bundespräsidenten bald der letzte Schrei ist, sich bei öffentlichen Ansprachen am Kopf zu kratzen. Und dass man es in hundert Jahren für ebenso unmöglich hält, mit unbekratztem Haupt eine Rede zu halten wie den untersten Westenknopf zu schließen. Falls es im Jahr 2118 überhaupt noch dreiteilige Anzüge gibt. Sie wissen ja: die Klimaerwärmung …
Politisch gesehen wäre das Aussterben des Dreiteilers nicht unbedenklich, bietet er doch die Möglichkeit zu einer wichtigen Geste: der Hand in der Weste. Berühmt wurde sie durch Napoleon Bonaparte. Auf Gemälden ist derart oft zu sehen, wie er seine Hand zwischen zwei (geschlossene) Westenknöpfe schiebt, dass das Sujet in späteren, respektlosen Zeiten gar als Werbung für Arzneien gegen Bauchweh herhalten musste.
Napoleon nahm diese Pose übrigens erst im fortgeschrittenen Alter ein. Denn im antiken Rom (daher stammt die Geste) sollte die im Gewand ruhende Hand Selbstbeherrschung, Ruhe und Besonnenheit zum Ausdruck bringen. Für den jungen, revolutionären Napoleon wäre das völlig unpassend gewesen. Zum großen Empereur passte es.
Auch der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte seinerzeit die Hand in die Weste stecken. Da seine Brioni-Anzüge aber keine hatten, konnte er es nur verbal tun und beschrieb seine Regierungstätigkeit daher als „Politik der ruhigen Hand“. Erst als sich seine Amtszeit dem Ende zuneigte, kratzte er sich nachdenklich am Kopf und fragte sich, was denn nach all der Ruhe von seiner Kanzlerschaft übrig bleiben werde. Gar nichts!? Erschrocken zog Schröder die Hand aus der nicht vorhandenen Weste und erfand schnell die Agenda 2010 und Hartz IV.
Die Konkurrenten der seither so erfolgreichen Deutschen wünschen bis heute, er hätte die Hand damals stecken lassen. Aber so ist das halt mit den Westen. Im Osten ist das ganz anders.
Aber zurück zu unserem Bundespräsidenten. Seine Rede hatte ebenfalls mit dem Thema Westen zu tun. Genauer gesagt: Mit dem Grund dafür, warum sie immer weniger getragen werden. Also mit der Klimaerwärmung. Van der Bellen warnte eindringlich vor selbiger und genau in dem Moment, als er sich kratzte, sagte er mahnend (und ohne Weste): „Was wir jetzt nicht tun, wird uns später auf den Kopf fallen.“
Das kann kein Zufall sein. Das Staatsoberhaupt wollte uns damit sagen, dass Nachdenken – wofür Kratzen am Haupt ja das Sinnbild ist – eine unverzichtbare Handlung ist, deren Nichtausführung einem unweigerlich auf den Kopfzerbrechungskörperteil fällt.
Insofern sollte man wirklich einmal darüber nachdenken, warum die Schneider an den Westen immer noch unterste Knöpfe anbringen, obwohl sie ohnehin nie benutzt werden. Das ist eine Ressourcenverschwendung, die sicher uns noch einmal auf den Knopf fallen wird.