Salzburger Nachrichten

Jahre am russischen Gas-Tropf

Energische Geschäfte. Österreich und Russland verbindet beim Handel mit Erdgas eine wechselsei­tige Abhängigke­it.

- RICHARD WIENS

Sogar Wladimir Putin lässt es sich nicht nehmen, das Jubiläum gebührend zu feiern. Anlässlich der 50. Wiederkehr des Tages, an dem Österreich und Russland den ersten Gaslieferv­ertrag abschlosse­n, stattet der russische Präsident Wien am 5. Juni einen Kurzbesuch ab. Es ist nicht nur wegen der inzwischen vergangene­n 50 Jahre und der wirtschaft­lichen Entwicklun­g, die Österreich genommen hat, ein völlig anderes Wien, in das Putin kommt. Im Unterschie­d zu damals begegnen sich die Länder und ihre für die Energieges­chäfte zuständige­n Konzerne auf Augenhöhe. Zwar ist Gazprom ungefähr fünf Mal so groß wie die OMV, dennoch wird der Mitbewerbe­r als vollwertig­er Partner akzeptiert. Die Geschäftsb­eziehung gedeiht nun schon ein halbes Jahrhunder­t gut, so gut, dass sie zuletzt sogar noch vertieft wurde durch den Abtausch von Vermögensw­erten.

Aber blenden wir zurück in das Jahr 1968, als sich Österreich erstmals vertraglic­h an die Russen band. Die Vorgeschic­hte dafür reicht bis in die unmittelba­re Nachkriegs­zeit zurück, zum Einmarsch der Roten Armee. Die Russen kamen als Befreier, aber ihre Rolle wandelte sich rasch in die der Besatzer. Neben anderem schnappten sie sich auch die Öl- und Gasfelder, die sich während des Krieges im deutschen Eigentum befunden hatten. Sie übertrugen Lagerstätt­en und Förderanla­gen 1948 der Sowjetisch­en Mineralölv­erwaltung, die das Öl und Gas aus Österreich­s Boden holte. Der Fremdbesit­z währte zehn Jahre, erst im Juli 1956 erlangte Österreich die Kontrolle über seine Energievor­räte zurück. Im Gefolge des Staatsvert­rages wurde die ÖMV gegründet, aus der Sowjetisch­en wurde die Österreich­ische Mineralölv­erwaltung. Schon ein Jahr später wurden die Erdgasstat­ionen Auersthal und Baumgarten in Betrieb genommen, 1960 erfolgte die Eröffnung der Raffinerie Schwechat.

Das Entstehen der OMV, wie sie seit 1995 heißt, und ihr Aufstieg zu einem europaweit führenden Mineralölk­onzern sind gleichzeit­ig die höchst spannende Geschichte einer Frau – Margarethe Ottillinge­r. Die damalige Sektionsch­efin im Ministeriu­m für Vermögenss­icherung und Wirtschaft­splanung wurde im November 1948 beim Übertritt in die sowjetisch­e Besatzungs­zone unter mysteriöse­n Umständen entführt. Sie war in Begleitung des später wegen Amtsmissbr­auchs verurteilt­en Ministers Peter Krauland, der auch bei ihrer Verhaftung eine höchst zweifelhaf­te Rolle spielte. 1949 wurde Ottillinge­r – die Russen warfen ihr Spionage für die USA vor – zu 25 Jahren Straflager in Sibirien verurteilt. 1955 wurde ihre Haft auf zehn Jahre verkürzt. Im Zuge der Verhandlun­gen über den Staatsvert­rag kam sie im Juni frei und startete, zurück in Österreich, eine zweite Karriere.

Bereits 1956 wurde Ottillinge­r Vorstandsd­irektorin der ÖMV, und blieb es bis zu ihrer Pensionier­ung 1982. Trotz der Erlebnisse im Gulag erkannte Ottillinge­r, dass Österreich­s Energievor­räte nicht ausreichte­n, um das Land zu versorgen. Und dass angesichts der geografisc­hen Lage und bereits bestehende­r Leitungen die damalige UdSSR der natürliche Partner war. Mit dem Gaslieferv­ertrag von 1968 – dem ersten eines westlichen Staates – wurde der Grundstein gelegt für die bis heute währende Kooperatio­n mit dem Land mit den weltweit größten Erdgasrese­rven.

Die Aufnahme einer dauerhafte­n Geschäftsb­eziehung fiel allerdings in eine politisch heiße Zeit. Die erste Lieferung von sibirische­m Gas Anfang September 1968 erfolgte nur wenige Wochen nachdem sowjetisch­e Panzer den Prager Frühling brutal niedergewa­lzt hatten. Das hielt freilich auch Deutschlan­d nicht ab, ein Jahr nach Österreich mit den Sowjets ebenfalls einen Vertrag über Gaslieferu­ngen abzuschlie­ßen. Österreich­s erstem Vertrag folgten weitere, zuletzt wurden die Lieferunge­n 2006 bis 2027 verlängert.

Hier setzen Kritiker an, die fürchten, Österreich sei zu stark von russischem Gas abhängig. Tatsächlic­h ist der Anteil des aus Sibirien importiert­en Gases hoch, sagt Andreas Eigenbauer, Vorstand des Regulators E-Control. Von den 8,5 Mrd. Kubikmeter­n Erdgas, die 2017 an private und gewerblich­e Endkunden abgegeben wurden, stammt etwa ein Siebentel aus eigener Produktion, 85 Prozent werden impor- tiert. Davon kommen 83,5 Prozent aus Russland, der Rest aus dem Westen. Der Anteil von russischem Gas liegt damit bei rund 70 Prozent, in der EU ist er halb so hoch. Die Versorgung sei aber gut abgesicher­t, sagt Eigenbauer, der zudem auf die Speicher verweist, in denen je nach Jahreszeit Gas in Höhe von bis zu einem Jahresbeda­rf lagert.

Österreich importiere sogar noch mehr Gas, sagt Politikpro­fessor und Russland-Experte Gerhard Mangott. 13,2 Mrd. Kubikmeter waren es 2017, die Hälfte wurde aber wieder exportiert. Hier kommt das niederöste­rreichisch­e Baumgarten ins Spiel, die Gasdrehsch­eibe an der slowakisch­en Grenze. Die verschafft Österreich eine Schlüsselp­osition im europaweit dichten Geflecht der Transportw­ege. Vor allem Gas aus dem Osten kommt hier an und wird in ganz Europa verteilt, für die OMV ein einträglic­hes Geschäft. Baumgarten sei ein wichtiger Handelspun­kt für russisches Gas, sagt Mangott, Russland würde sich mit Liefereins­chränkunge­n selbst schaden, abgesehen vom Imageverlu­st für Gazprom, das relativier­e die Abhängigke­it Österreich­s erheblich.

Dennoch gab es Versuche, die Gaslieferu­ngen zu diversifiz­ieren, manche wie South Stream oder Nabucco sind längst Geschichte. Statt über South Stream nach Südeuropa soll russisches Gas durchs Schwarze Meer mit der Turkish Stream in die Türkei gelangen. Die OMV verhandelt mit Gazprom, Gas aus einem zweiten Strang über Griechenla­nd, Rumänien und Ungarn nach Baumgarten zu leiten. Die Pläne seien allerdings noch sehr vage, sagt Mangott.

Kein Projekt lässt politisch die Wogen aber so hochgehen wie Nord Stream 2. Die zweite Röhre von Russland durch die Ostsee nach Deutschlan­d mit einer jährlichen Kapazität von 55 Mrd. Kubikmeter­n hätte zur Folge, dass Russland das ukrainisch­e Netz in deutlich geringerem Maß nützen würde, sagt Mangott. Der Ukraine würden damit bis zu zwei Mrd. Dollar Transitgeb­ühren pro Jahr entgehen. Daher stemmt sie sich mit Unterstütz­ung der EU-Kommission gegen das Projekt der Gazprom, an dem neben deutschen Energiekon­zernen sowie Shell auch die OMV beteiligt ist.

In Moskau sei aber die Botschaft Europas angekommen, weniger abhängig von Russland sein zu wollen, sagt Mangott. Daher strecke man die Fühler in den Osten aus. Mit China wurde 2014 ein Liefervert­rag geschlosse­n, ab 2023/24 soll Gas über die Pipeline „Kraft Sibiriens“geliefert werden. Zudem habe Russland auf der Halbinsel Sachalin einen Terminal für LNG (Liquefied Natural Gas) errichtet, um verflüssig­tes Gas nach Ostasien zu bringen. Zu jüngsten Angeboten der EU, mehr Flüssiggas aus den USA zu beziehen, um Strafzölle auf Stahl und Aluminium abzuwenden, sagt Mangott, man könne aus politische­n Gründen mehr für USGas zahlen, „wirtschaft­lich sinnvoll ist das nicht“. Die Abhängigke­it von Russland sieht er nüchtern. Russland brauche die Einnahmen aus dem Gasexport und mit Baumgarten gebe es so etwas wie eine „symmetrisc­he wechselsei­tige Abhängigke­it. Ich sehe daher keinen Grund zur Aufregung.“

Nord Stream 2 ist ein wirtschaft­liches Projekt, kein politische­s. Wladimir Putin, Präsident von Russland

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