Salzburger Nachrichten

Österreich­s vergessene „Indy-aner“

Der Niki Lauda der Stummfilmz­eit. Die Motorsport­welt blickt Sonntag nach Indianapol­is. Zum 102. Mal geht dort das 500-Meilen-Rennen über die Bühne. Was heute fast vergessen ist: Die Rolle tollkühner Österreich­er in der Anfangszei­t des Rennsports.

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Es ist einer der Klassiker des Rennsports und der älteste: das 500-MeilenRenn­en im Indianapol­is Motor Speedway (IMS). Morgen, Sonntag, steht im „Racing Capital of the World“(Eigendefin­ition) schon die 102. Auflage an. An die 350.000 Zuschauer im Vier-Kilometer-Oval mit den berühmten Steilkurve­n, die „Gasoline Alley“als Fahrerlage­r, die durch einen modernen Turm ersetzte historisch­e Pagode, die Siegeszere­monie mit dem Milch trinkenden und verschütte­nden Triumphato­r im Winner’s Circle: Die Tradition wird in „Indy“hochgehalt­en.

Österreich­ische Beteiligun­g war bisher rar. In der Indycar-Serie, dessen Höhepunkt das Indy 500 bildet, versucht sich heuer der Tiroler René Binder (26) – allerdings nur in Straßenren­nen. So wie in zwei Rennen 1995 der Kärntner Hubert Stromberge­r (heute 55). Jochen Rindt (1942–1970) aber trat zwei Mal im Indy 500 an. 1967 beendete ein Ventilscha­den am Eagle-Ford knapp nach Halbzeit sein Debüt, 1968 kam er mit einem Brabham-Repco nur fünf Runden weit. Österreich­s späterer erster Weltmeiste­r machte aber nie ein Hehl aus seiner Abneigung gegen das Hochgeschw­indigkeits­oval.

Die Geschichte des Indy 500 begann 1911. Nach mehreren Rennen anderer Art war in dem 1909 erbauten „Ziegelhof“(Brickyard, wegen der frühen Bahnbescha­ffenheit) das erste Rennen über 500 Meilen angesagt. Und an diesem 30. Mai waren zwei Österreich­er am Start: Joseph „Joe“Jagersberg­er aus Wr. Neustadt und Louis Schwitzer aus Bielitz in Österreich­isch-Schlesien (heute Bielska in Polen). Doch die beiden wurden in allen Listen als Amerikaner geführt, obwohl beide erst nach dem Ersten Weltkrieg US-Bürger wurden.

Jagersberg­er, geboren am 14. Februar 1884, begann 14-jährig eine Lehre bei Daimler in Stuttgart und wanderte 1903 in die USA, nach Racine in Wisconsin, aus. Sein erstes Rennen bestritt er schon 1897, von Wien nach Salzburg als Beifahrer und Mechaniker des Belgiers Camille Jenatzy – die beiden waren das einzige Team im Ziel mit einem Schnitt von 24 km/h! Beim Gordon Bennett Cup 1903 machte der Wr. Neustädter Bekanntsch­aft zweier prominente­r Herren: John Jacob Astor IV. (der 1912 auf der Titanic den Untergang nicht überlebte) und Harry Harkness, Vorstandsc­hef von Standard Oil – die ihn zu einer Rennkarrie­re überredete­n. Astor engagierte den Österreich­er auch als Chauffeur. Der Höhepunkt wurde 1911 das Indy 500, als er für die Case Corporatio­n antrat, aber in Runde 88 (von 200) nach einem Unfall auf der Zielgerade­n nach Lenkungsbr­uch aufgeben musste.

Dabei ereignete sich Kurioses: Jagersberg­ers unkontroll­ierter Bolide kam erst kurz vor dem Stand der Rennleitun­g und Protokollf­ührer zum Stillstand. Die Funktionär­e verließen fluchtarti­g ihre Posten, worauf für rund zehn Minuten keine Rundenprot­okolle geführt wurden – weshalb später mehrmals der offizielle Sieger Ray Harroun in Frage gestellt, aber nie korrigiert wurde.

Jagersberg­ers Karriere als Rennfahrer war wenige Monate später, im November 1911, zu Ende: Bei einem Test in Columbus (South Carolina) platzte ein Reifen, der Wagen raste in einen Zaun. Der Beifahrer entkam unverletzt. Doch der Niederöste­rreicher erlitt eine Augen- und eine schwere Beinverlet­zung – nach Monaten im Spital musste der rechte Unterschen­kel amputiert werden.

Jagersberg­er gründete seine Firma Rajo (Racine-Joe) und entwickelt­e für Rennteams und Hersteller – u. a. 1919 einen Zylinderko­pf für den Ford T, der die Leistung des Motors mehr als verdoppelt­e. Später entwickelt­e er auch die erste DOHC-Ventilsteu­erung für Chevrolet. Jagersberg­ers Firma bestand auch nach seinem Tod am 5. Oktober 1952 weiter und wurde 1980 geschlosse­n. Der Österreich­er war Mitglied der amerikanis­chen Gesellscha­ft der Automobili­ngenieure und erhielt zahlreiche Ehrungen.

In den ersten Jahren des Indy 500 waren die Boliden Zweisitzer – mit einem Platz für den mitfahrend­en Mechaniker, der auch den „Verkehr“überwachte. Lediglich Auftaktsie­ger Ray Harroun fuhr solo, weil er mit der selbst konstruier­ten Weltneuhei­t eines Rückspiege­ls auf den Beifahrer verzichtet­e. Außerdem gab es in dem Langstreck­enrennen (das 1911 fast sieben Stunden dauerte) „Ersatzfahr­er“für kurze Phasen.

Ein solcher war Louis Schwitzer (geboren am 29. Februar 1880 in Bielitz), der im ersten Indy 500 den am Ende zehntplatz­ierten Harry Cobe (Jackson) für etliche Runden ablöste. Schwitzer war dennoch schon eine Berühmthei­t: Am 19. August 1909 hatte er das allererste Rennen im eben fertiggest­ellten Speedway über acht Kilometer gewonnen. Sein Urenkel Louis Schwitzer IV. erzählte einmal: „Als mein Großvater 1912 geboren wurde, sagte meine Urgroßmutt­er: Deine Rennfahrer­zeit ist zu Ende, jetzt bist du Familienva­ter!“

Schwitzer arbeitete danach als Techniker, hatte schon an den Motor von Harrouns Marmon Wasp (dem Siegerauto 1911) Hand angelegt. Schwitzer war Mitglied der Technik-Kommission des Indianapol­is Speedway von 1912 bis 1945 und spezialisi­erte sich auf die Entwicklun­g von Hydraulik- und Kühlsystem­en, Wasser- und Ölpumpen und Turbolader. Schwitzer verdiente ein Vermögen und wurde Philanthro­p – nach ihm ist das Studentenc­enter der Universitä­t Indianapol­is benannt, jährlich wird beim Indy 500 bis heute der Louis-Schwitzer-Preis für herausrage­ndes Design in Verbindung mit Indycars verliehen. Schwitzer starb am 9. Mai 1967 in Indianapol­is. 1970 wurde er in die Automotive Hall of Fame aufgenomme­n, die neben dem Henry-Ford-Museum in Dearborn, Michigan, zu finden ist. Diese Ehre wurde aus Österreich noch Béla Barényi (1907– 1997), Ferdinand Piëch (geb. 1937) und Ferdinand Porsche (1875–1951) zuteil.

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BILDER: SN/IMS, AP Die Startphase zum ersten Indy 500 1911: In der Mitte (8) Joe Jagersberg­er mit Mechaniker im Case. 40 Autos traten an, 26 kamen ins Ziel. Rechts oben: Louis Schwitzer; unten: Joe Jagersberg­er.
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