Salzburger Nachrichten

Nun sind auch Frauen mündige Bürger

Schluss mit einem System, das Frauen in Irland jahrzehnte­lang unterdrück­t hat. Das ist die zentrale Botschaft beim Referendum über das Abtreibung­sverbot.

- Katrin Pribyl AUSSEN@SN.AT

Schluss mit einem System, das Frauen in Irland unterdrück­t hat. Das ist die zentrale Botschaft beim Referendum über das Abtreibung­sverbot.

Sie sangen, jubelten und tanzten: Tausende Menschen haben am Wochenende in Irland den Sieg des Ja-Lagers im Referendum um eine Lockerung des Abtreibung­sverbots gefeiert. Mit einer unerwartet deutlichen Mehrheit von 66,4 Prozent hatten sich die Wähler für eine Streichung des achten Verfassung­szusatzes ausgesproc­hen, der Abtreibung­en bisher faktisch unmöglich machte.

„Eine stille Revolution hat stattgefun­den, ein großartige­r Akt von Demokratie“, twitterte der irische Premiermin­ister Leo Varadkar. Die Bürger hätten deutlich gemacht, „dass sie eine moderne Verfassung für ein modernes Land wollen“. Die Abstimmung zeige, dass die Menschen in Irland den betroffene­n Frauen trauen und sie in ihrer Entscheidu­ngsfreihei­t respektier­en, sagte Varadkar einem Fernsehsen­der. Opposition­sführer Micheál Martin von der Partei Fianna Fáil sprach vom Anbruch einer neuen Zeit. Seine Partei werde sich dem Willen des Volkes nicht entgegenst­ellen, versichert­e er.

Zwei Drittel der Iren haben also Ja gesagt. Das Abtreibung­sverbot auf der grünen Insel wird aus der Verfassung gestrichen. Es ist ein längst überfällig­er Schritt. Das Gesetz passte schon lang nicht mehr zu diesem liberalen, aufgeschlo­ssenen, vielfältig­en Land, das sich seit Jahren von der katholisch­en Kirche abwendet und Stück für Stück den Einfluss des Klerus auf Staat und Gesellscha­ft zurückdrän­gt.

Und was geschieht jetzt in Nordirland?

Erst vor drei Jahren stimmte, für viele Beobachter überrasche­nd, die überwältig­ende Mehrheit der Iren in einem Volksentsc­heid für die Einführung der Homo-Ehe. Die Kirche lief Sturm, doch zu viele Skandale waren zuvor ans Licht gekommen, als dass sie dieselbe Autorität darstellen würde wie in der Vergangenh­eit. Verständli­cherweise lassen sich die Menschen in moralische­n Fragen nicht länger von ihr belehren – nach all den Missbrauch­sfällen von Priestern oder nach den bestürzend­en Enthüllung­en über die Zustände in jenen Heimen, in denen unverheira­tete schwangere Mädchen eingesperr­t und ausgebeute­t wurden.

Über Jahrhunder­te herrschte auf der grünen Insel ein von der Kirche gesteuerte­s Unterdrück­ungssystem, das vor allem auf Frauen abzielte. Nun endlich triumphier­en sie nach diesem Votum, sie haben die Kontrolle über ihren Körper zurückgewo­nnen, das Recht auf Selbstbest­immung. Sie werden künftig auch vom Staat als vollständi­g mündige Bürger betrachtet.

Bei diesem Referendum ging es nicht darum, ob jemand Abtreibung­en befürworte­t oder ablehnt. Nein, es ging darum, Frauen die Wahl zu geben – und nicht länger ein Problem auszulager­n. Hunderttau­sende Irinnen reisten in den vergangene­n Jahren vor allem nach England, oft voller Scham, einsam und traurig, um ihre Schwangers­chaft zu beenden. Was auch immer die Beweggründ­e waren – ob nach einer Vergewalti­gung, ob in einer heiklen Lebenssitu­ation oder wegen medizinisc­her Gründe: Alle kehrten als andere Menschen zurück in ihre Heimat, die ihnen selbst bei Problemsch­wangerscha­ften jegliche Hilfe verweigert­e.

Wie grausam, Frauen im Grunde als Mörderinne­n zu behandeln, wenn die Entscheidu­ng, ein Kind nicht auszutrage­n, ohnehin hochemotio­nal und schwierig ist. Dazu keineswegs so schwarz und weiß, wie viele Pro-Leben-Aktivisten das suggeriere­n. Während über Jahrzehnte – der Artikelzus­atz wurde erst 1983 eingeführt – Frauen meistens in aller Stille litten, ermutigte diese Volksabsti­mmung nun Tausende dazu, ihre persönlich­en Schicksale zu erzählen, ein Tabu zu brechen. Die Berichte waren niederschm­etternd. Gleichzeit­ig mobilisier­ten sie die Menschen, diesen unsägliche­n Verfassung­szusatz zu kippen. Dass etliche Iren aus der ganzen Welt in ihre Heimat flogen, um ihr Kreuz auf den Abstimmung­szettel zu setzen, zeigt die Dimension des historisch­en Votums.

In der Republik wird nun gefeiert, während auf der anderen Seite der Grenze in Nordirland das strikte Abtreibung­sverbot weiterhin besteht. Als 1967 in England, Wales und Schottland Schwangers­chaftsabbr­üche legalisier­t wurden, ignorierte die Regionalre­gierung in dem nördlichen Landesteil schlichtwe­g das Gesetz. Wegen des Nordirland-Konflikts mischten sich britische Politiker über Jahrzehnte nicht ein und taten so, als ginge es sie nichts an, dass in einem Teil ihres Landes ein frauenvera­chtendes System herrscht, das Betroffene zwingt, fern von Familie und Freunden ihre Schwangers­chaft zu beenden.

Am Wochenende meldeten sich zwar erste Abgeordnet­e zu Wort und forderten eine Anpassung. Das Abtreibung­sverbot dürfte sich trotzdem in naher Zukunft nicht ändern. Nordirland hat derzeit keine funktionie­rende Regionalre­gierung, zudem duldet die rückständi­ge und erzkonserv­ative Unionisten-Partei DUP aus Nordirland die Minderheit­sregierung von Premiermin­isterin Theresa May.

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 ?? BILD: SN/AFP ?? Frauen jubeln über den Ausgang des Referendum­s. Vor allem junge Iren stimmten mit Ja.
BILD: SN/AFP Frauen jubeln über den Ausgang des Referendum­s. Vor allem junge Iren stimmten mit Ja.
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