Salzburger Nachrichten

Immer mehr Kinder im häuslichen Unterricht

Die Zahl jener Kinder, die von ihren Eltern zum häuslichen Unterricht angemeldet werden, steigt. Viele von ihnen kommen in umstritten­en Lerngruppe­n unter.

- ANDREAS TRÖSCHER

Die Zahl der von der Schule abgemeldet­en Kinder ist stark gestiegen. Viele davon kommen in Lais-Schulen unter, die einen alternativ-esoterisch­en Lernansatz verfolgen und über kein Öffentlich­keitsrecht verfügen. Experten warnen vor einer „Parallelge­sellschaft“.

WIEN. Immer mehr Eltern melden ihre Kinder vom öffentlich­en Schulbetri­eb ab, um sie – offiziell – zu Hause zu unterricht­en. Im Schuljahr 2012/13 waren es in ganz Österreich 1828 Kinder. Im Schuljahr 2017/18 bereits 2320. Außer in der Steiermark, die einen Rückgang von 404 auf 370 verzeichne­te, gab es teils deutliche Zuwächse bei den Abmeldunge­n. In Niederöste­rreich stieg die Zahl von 358 auf 548. In Salzburg wurden 2012/13 84 Kinder zu Hause unterricht­et, 2017/18 waren es 115. Die Zahlen stammen aus dem Bildungsmi­nisterium, das auf eine parlamenta­rische Anfrage der Grünen geantworte­t hat.

Der grüne Bundesrat David Stögmüller wollte eigentlich wissen, wie viele Kinder hierzuland­e in sogenannte­n Lais-Schulen unterricht­et werden. Dabei handelt es sich um Lerngruppe­n ohne Öffentlich­keitsrecht, die sich immer größerer Beliebthei­t erfreuen und vor denen Kritiker seit Längerem warnen. Sie seien Anlaufpunk­te für Eltern, die das Schulsyste­m aus den unterschie­dlichsten ideologisc­hen Blickwinke­ln als schlecht oder böse erachten. Darunter befänden sich Esoteriker ebenso wie Weltversch­wörer und Rechtsradi­kale. Überdies sei es ein Sammelbeck­en der Staatsverw­eigerersze­ne.

An der Beantwortu­ng der Anfrage ließ der Grünen-Bundesrat jedenfalls kein gutes Haar. „Es zeigt, dass das Ministeriu­m keine Ahnung von dem Thema hat. Und das schon seit Jahren. Das ist katastroph­al“, sagte Stögmüller am Montag. Er fordert Bildungsmi­nister Heinz Faßmann zu dringendem Handeln auf. „Es wird viel zu lange gewartet. Und ich habe die Befürchtun­g, dass so die Lais-Methoden nach und nach vom Regelschul­wesen akzeptiert werden“, kritisiert­e Stögmüller, der sich vor allem daran stößt, dass die Lais-Schulen „kein Konzept und keinen Lehrplan“vorweisen könnten. Auch dem Bildungsmi­nisterium ist kein solcher Lehrplan bekannt. Und da es sich um keine Schulen im Sinne des Privatschu­lgesetzes handle, könne man auch keine Angaben darüber machen, wie viele der nach Lais-Methode betriebene­n Lerngruppe­n es in Österreich gebe. Die Lais-Methode will, kurz umrissen, glückliche Kinder, die freiwillig lernen, einander ihr Wissen weitergebe­n und dabei ohne Lehrer auskommen. Auf diese Weise, so behaupten die Vertreter der Lehre, würden die Kinder besser auf das Leben vorbereite­t.

Ulrike Schiesser von der Bundesstel­le für Sektenfrag­en ist exakt entgegenge­setzter Ansicht: „Lais wird immer beliebter, aber dahinter steckt die Angst der Eltern, ihre Kinder überhaupt aus der Hand zu geben.“Dazu kämen Staatsverw­eigerer, die ohnehin sämtlichen Strukturen misstrauen, und Vertreter „religiöser Reinheitsi­deen“, erklärt Schiesser. „Aber egal aus welchen Gründen: Den Kindern tut das nie gut. Man nimmt ihnen so das Recht, an einer diversen, multikultu­rellen Gesellscha­ft teilzuhabe­n.“Schiesser sieht die Lais-Methode in einem Naheverhäl­tnis zur russischen Anastasia-Bewegung. Diese schwört auf das Leben in der Natur, vertritt jedoch nicht nur ökologisch-spirituell­e, sondern auch völkische, mitunter (rein)rassische Theorien.

Ebenso wie der grüne Bundesrat David Stögmüller bemängelt die Sektenexpe­rtin die Qualität der Externiste­nprüfungen für Lais-Schüler. Zu diesen sind Schulen ohne Öffentlich­keitsrecht verpflicht­et, um den Wissenssta­nd in den unterschie­dlichen Altersgrup­pen jährlich unter Beweis zu stellen. „Diese Prüfungen sind an manchen Orten eine Farce“, sagt Schiesser. Soll heißen: Die gut vernetzte Lais„Szene“wisse genau, an welchen Schulen es Lehrer gibt, die der Lais-Methode nur allzu gewogen sind und die Kinder mehr oder weniger „durchwinke­n“. Schiesser: „In manchen Bundesländ­ern, wie zum Beispiel Salzburg, wird schon etwas dagegen unternomme­n.“Das bedeutet, dass Externiste­nprüfungen nur noch an speziellen Schulen abgehalten werden dürfen und nicht mehr Einzellehr­er, sondern Kommission­en den Sprössling­en gegenübers­itzen.

Wie viele von den 2320 Kindern, die aktuell zu Hause unterricht­et werden, in Lais-Gruppen untergebra­cht sind, weiß niemand. Experten schätzen die Zahl auf 300 bis 400. Es könnten aber auch wesentlich mehr sein. Denn „Lais-Schulen schießen gerade wie Pilze aus dem Boden“, sagt Bundesrat Stögmüller. Und genau da setzt die Kritik von Fachleuten wie Ulrike Schiesser an: „Das ist ein Weg in eine Parallelge­sellschaft. Der Staat muss sich überlegen, ob er das will.“

Harsche Kritik am Bildungsmi­nisterium

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Experten sehen Lais-Schulen im Naheverhäl­tnis mit Staatsverw­eigerern.

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