Salzburger Nachrichten

Kolumbien ist tief gespalten

Nach einer turbulente­n Wahl stehen die Kandidaten für die Stichwahl in Kolumbien fest. Sie könnten nicht gegensätzl­icher sein.

- KLAUS EHRINGFELD

Es war ein Herzschlag­finale, mit dem niemand gerechnet hatte. Gustavo Petro, der Linkskandi­dat, und Sergio Fajardo, der linksliber­ale Intellektu­elle und Mathematik-Professor, lieferten sich in Kolumbien ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den zweiten Platz bei der Präsidente­nwahl und den Einzug in die Stichwahl am 17. Juni. Am Ende ging der 58-jährige Ex-Rebell Petro mit 25,08 Prozent und einem knappen Vorsprung von 260.000 Stimmen auf Fajardo als Zweiter durchs Ziel. Mit 39 Prozent errang wie erwartet der Rechtsauße­n-Kandidat Iván Duque, Schützling von Ex-Präsident Álvaro Uribe und Gegner des Friedenspr­ozesses mit der FARC, einen klaren Sieg. Er ist der Favorit für das Präsidente­namt.

Das Ergebnis zeigt, wie tief gespalten das südamerika­nische Land ist. Es ist geteilt zwischen Friedensge­gnern und Friedensbe­fürwortern, zwischen überzeugte­n Neoliberal­en und Anhängern eines starken Staates, zwischen mehr oder weniger Blick auf die Armen und Unterprivi­legierten. Duque und Petro haben völlig verschiede­ne Visionen ihres Kolumbien.

Gustavo Petros großes Ziel ist, einen großen Teil der Kolumbiane­r von der Armut in die Mittelschi­cht zu führen. Dabei denkt er auch an Umverteilu­ng von gesellscha­ftlichem Reichtum, was Duque für Teufelszeu­g hält. Aber viele Kolumbiane­r halten solche Schritte für notwendig, was das gute Ergebnis für den Linkskandi­daten belegt. Es ist überhaupt das erste Mal in der jüngeren Geschichte des Andenstaat­s, dass ein prononcier­t linker Kandidat in die Stichwahl kommt. Ein Sieg des Ex-Bürgermeis­ters von Bogotá in der entscheide­nden Runde würde den größten Bruch mit dem politische­n System bedeuten.

Die Wahlbeteil­igung erreichte am Sonntag einen Rekord von 53 Prozent, was politische Beobachter auch als Beleg für den Wunsch der Menschen nach Veränderun­g sehen. Fast 20 Millionen Wahlberech­tigte gingen am Sonntag wählen.

Kolumbien stehen jetzt drei turbulente Wochen bevor, in denen vor allem Petro versuchen muss, Allianzen zu schmieden und die Wählerstim­men von Fajardo zu gewinnen. Aber es ist wenig wahrschein­lich, dass die Stimmen des Drittplatz­ierten Fajardo in der Stichwahl allesamt zu Petro wechseln. Dafür fremdelt Fajardo zu sehr mit vielen von Petros Ideen. In seiner Rede nach der Wahl hütete sich der ehemalige Bürgermeis­ter von Medellín dann auch tunlichst, eine Empfehlung abzugeben. Nach Ansicht des Analysten León Valencia kann sich Fajardo mit seinem klaren Wahlergebn­is aber nicht lange enthalten. „Er wird sich entscheide­n müssen, wen er mit seinen 4,5 Millionen Stimmen unterstütz­en will“, sagte der Direktor der Stiftung für Frieden und Versöhnung.

Bei einer Stichwahl zwischen Duque und Petro werde der Rechtskand­idat sicher gewinnen, ist der politische Analyst Andrés Molano überzeugt. Kolumbien sei noch nicht bereit für einen linken Präsidente­n, ergänzt der Akademisch­e Direktor des Forschungs­instituts ICP. „Zudem ist der Antipetris­mus sehr groß.“40 Prozent der Kolumbiane­r sagen, sie würden niemals für Petro stimmen, der als arrogant gilt und „antisystem­ische“Positionen vertritt. Seine Gegner und weite Teile der Medien haben zudem ständig versucht, Petro als einen Politiker darzustell­en, der Kolumbien in ein zweites Venezuela verwandeln will. Der Zweitplatz­ierte distanzier­te sich am Sonntag aber deutlich von Venezuela und seinem Präsidente­n Nicolás Maduro, den er als „Diktator“bezeichnet­e.

Der 41-jährige Senator Duque ist ein Newcomer in der Politik und wird seit Jahren von dem ultrarecht­en Ex-Präsidente­n Uribe gefördert und aufgebaut. Duque arbeitete zwölf Jahre in den USA als Berater von Finanzorga­nisationen, die meiste Zeit davon bei der Interameri­kanischen Entwicklun­gsbank IDB. Er ist ein Gegner des Friedensab­kommens mit den Revolution­ären Streitkräf­ten Kolumbiens (FARC), in dem er zu wenig Gerechtigk­eit für die Opfer sieht. Er will das Abkommen von Ende 2016, das eine schwere Geburt erlebt hat, überarbeit­en und dabei vor allem die Beteiligun­g der ehemaligen Rebellen in der Politik und das System der Übergangsj­ustiz mit Teilamnest­ie und geringen Strafen neu schreiben.

Für den scheidende­n Präsidente­n und Friedensno­belpreistr­äger Juan Manuel Santos ist das Wahlergebn­is ein schwerer Schlag. Nicht nur, weil sich die Kolumbiane­r für zwei Kandidaten der Extreme entschiede­n haben, sondern auch, weil die beiden Bewerber des rechtslibe­ralen politische­n Zentrums, darunter sein Unterhändl­er des FARC-Abkommens Humberto de la Calle, verheerend­e Pleiten einstecken mussten.

„Die Geschichte Kolumbiens kann geändert werden.“Gustavo Petro, Linkskandi­dat

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BILD: SN/AP Gustavo Petro (im Bild) und Iván Duque treten bei der Stichwahl am 17. Juni gegeneinan­der an.

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