Vor zwei Jahren ging die Münchner Biennale schwimmen, heuer geht sie baden. Mit Wohlfühlfaktor?
Als Hans Werner Henze für 1986 zu seiner ersten Münchener Biennale für neues Musiktheater bat, war der Auftrag klar: Der renommierte Komponist wollte als väterlicher Mentor junge Talente zur Bühnenreife fördern und neue, taugliche Stücke für die Opernbühne auf den Weg bringen. Dass dabei das „Erzähltheater“, die „Literaturoper“im klassischen Sinn im Vordergrund stand, war Henzes eigener Biografie wie den Umständen der Musiktheaterbühne jener Zeit geschuldet. Als Nachfolger Henzes positionierte sodann Peter Ruzicka die Biennale mit neuen philosophisch-musikästhetischen Fragestellungen, Stichwort: Zweite Moderne. Er erweiterte den obligaten, herkömmlichen „Opern“-Begriff, ohne freilich die angestammten Formen ganz zu verleugnen.
Als das Münchner Kulturreferat
„Wir konzipieren einen musikdramatischen Forschungsraum.“
als Hauptträger der Veranstaltungsreihe für die dritte Generation von Programmmachern auf Daniel Ott und Manos Tsangaris als künstlerische Leiter setzte, war ein Paradigmenwechsel fällig. Demgemäß waren die Ergebnisse der ersten Biennale des Duos, 2016, heftig umstritten. Denn es ging um vieles, aber eigentlich nie um das, was man landläufig mit dem Begriff „Oper“umschreiben würde. Angesagt waren Vielfalt und grenzenlose Offenheit der Formen, Spiele, Orte. Eine „Volksoper“wurde gegeben, die einen Stadtteil und die Volkshochschule mobilisierte, man ging nächtens in die Isarauen, fuhr mit einem Bus, besuchte – bei 70 Prozent Luftfeuchtigkeit und 33 Grad – ein Jugendstil-Hallenbad für eine Art schwimmende Oper.
Was moniert wurde, weil es fehlte: ein irgendwie verfolgbarer roter Faden. Aber das wollten die Musikmacher und „Klangaktionisten“Ott und Tsangaris wohl eher weniger. Andererseits: Vieles, was da aktionistisch „an anderen Orten“passierte (und mit Mitteln, die aus allem, von Alltag bis Elektronik, „Musik“heraushörten), war schon auch gute, alte Avantgarde von gestern.
Bleibt auch jetzt für die zweite Biennale des Gestalterduos, die von 2. bis 12. Juni wiederum an verschiedenen Schauplätzen in München stattfindet, alles derart offen (mit der Gefahr der Beliebigkeit)? Das Thema, dem die Veranstaltung folgt, heißt „Privatsache“. In einem „musikdramatischen Forschungsraum“, der über elf Tage sowohl künstlerisch – durch 15 Uraufführungen – als auch in Diskursen entstehen soll, will man Wege durch ein Bedeutungslabyrinth suchen. Denn „Privatsache“ist heute, in unseren durchdigitalisierten Welten, nicht mehr das Intime, Verborgene, das man vor der „Öffentlichkeit“zu schützen trachtet. Vielmehr gibt man, gewollt oder ungewollt, Privates mehr und mehr im öffentlichen Raum preis. Und in diesem wird es zugleich „auf ewig“aufbewahrt. Schutz- wie Freiräume müssen also anders definiert werden.
Wieder geht die Münchener Biennale für neues Musiktheater hinaus aus „geschützten“Theaterräumen, diesmal sogar hinein in Privatwohnungen, für die eigene musiktheatralische Aktionen entwickelt wurden. In einem Fall werden die Besucher sogar gebeten, Badebekleidung mitzubringen (notfalls wird sie auch gestellt), wenn jeweils nur ein Besucher für 15 Minuten ins „angenehm temperierte“Wasser zu einer Erinnerungsreise in eine Badewanne steigen soll („Bathtub Memory Project“).
Zwar gibt es auch weiterhin traditionelle (Auftrags-)Werkformate in angestammtem Ambiente (Muffathalle, Kulturzentrum Gasteig, Marstall); wie üblich sind wichtige Koproduzenten – etwa Deutsche Oper oder Staatsoper Unter den Linden in Berlin – mit im Boot. Aber es locken auch ein Gastatelier (whiteBOX), eine „Tonhalle“auf dem Max-Joseph-Platz, ein Stadtspaziergang oder die idyllische Villa Waldberta am Starnberger See.
Klangarchitekturen, skulpturale Environments, technoide Maschinen, ein simuliertes Auktionshaus, ein Business-Meeting in einem „audio-sensiblen Überwachungsmedium“, aber auch, ganztägig von 4. bis 12. Juni, ein Ort, der erst eine „Oper“entstehen lassen will – bei Essen, Lektüre, Fußbad, einer „Schubertiade“bis hin zum Kindergeburtstag –, sind Entwürfe und Schauplätze eines anderen, für Überraschungen durchlässigen Musiktheaters.
Eines ist wohl auch diesmal von vornherein gewiss: Man wird sich wieder auf nichts verlassen können. Ob die Biennale, die vor zwei Jahren schon geschwommen ist, am Ende das Badewannen-Experiment gut übersteht oder baden gegangen sein wird: Nur der Augen- und Ohrenschein wird das beantworten können. Ab 2. Juni. Festival: