Salzburger Nachrichten

Vor zwei Jahren ging die Münchner Biennale schwimmen, heuer geht sie baden. Mit Wohlfühlfa­ktor?

- MÜNCHEN. D. Ott, M. Tsangaris, Biennale „Wir aus Glas“zum Auftakt: Wir schauen in ein Haus. Münchner Biennale für neues Musiktheat­er, Privatsach­e / Private Matter. 2.–12. Juni. WWW.MUENCHENER­BIENNALE.DE

Als Hans Werner Henze für 1986 zu seiner ersten Münchener Biennale für neues Musiktheat­er bat, war der Auftrag klar: Der renommiert­e Komponist wollte als väterliche­r Mentor junge Talente zur Bühnenreif­e fördern und neue, taugliche Stücke für die Opernbühne auf den Weg bringen. Dass dabei das „Erzählthea­ter“, die „Literaturo­per“im klassische­n Sinn im Vordergrun­d stand, war Henzes eigener Biografie wie den Umständen der Musiktheat­erbühne jener Zeit geschuldet. Als Nachfolger Henzes positionie­rte sodann Peter Ruzicka die Biennale mit neuen philosophi­sch-musikästhe­tischen Fragestell­ungen, Stichwort: Zweite Moderne. Er erweiterte den obligaten, herkömmlic­hen „Opern“-Begriff, ohne freilich die angestammt­en Formen ganz zu verleugnen.

Als das Münchner Kulturrefe­rat

„Wir konzipiere­n einen musikdrama­tischen Forschungs­raum.“

als Hauptträge­r der Veranstalt­ungsreihe für die dritte Generation von Programmma­chern auf Daniel Ott und Manos Tsangaris als künstleris­che Leiter setzte, war ein Paradigmen­wechsel fällig. Demgemäß waren die Ergebnisse der ersten Biennale des Duos, 2016, heftig umstritten. Denn es ging um vieles, aber eigentlich nie um das, was man landläufig mit dem Begriff „Oper“umschreibe­n würde. Angesagt waren Vielfalt und grenzenlos­e Offenheit der Formen, Spiele, Orte. Eine „Volksoper“wurde gegeben, die einen Stadtteil und die Volkshochs­chule mobilisier­te, man ging nächtens in die Isarauen, fuhr mit einem Bus, besuchte – bei 70 Prozent Luftfeucht­igkeit und 33 Grad – ein Jugendstil-Hallenbad für eine Art schwimmend­e Oper.

Was moniert wurde, weil es fehlte: ein irgendwie verfolgbar­er roter Faden. Aber das wollten die Musikmache­r und „Klangaktio­nisten“Ott und Tsangaris wohl eher weniger. Anderersei­ts: Vieles, was da aktionisti­sch „an anderen Orten“passierte (und mit Mitteln, die aus allem, von Alltag bis Elektronik, „Musik“heraushört­en), war schon auch gute, alte Avantgarde von gestern.

Bleibt auch jetzt für die zweite Biennale des Gestalterd­uos, die von 2. bis 12. Juni wiederum an verschiede­nen Schauplätz­en in München stattfinde­t, alles derart offen (mit der Gefahr der Beliebigke­it)? Das Thema, dem die Veranstalt­ung folgt, heißt „Privatsach­e“. In einem „musikdrama­tischen Forschungs­raum“, der über elf Tage sowohl künstleris­ch – durch 15 Uraufführu­ngen – als auch in Diskursen entstehen soll, will man Wege durch ein Bedeutungs­labyrinth suchen. Denn „Privatsach­e“ist heute, in unseren durchdigit­alisierten Welten, nicht mehr das Intime, Verborgene, das man vor der „Öffentlich­keit“zu schützen trachtet. Vielmehr gibt man, gewollt oder ungewollt, Privates mehr und mehr im öffentlich­en Raum preis. Und in diesem wird es zugleich „auf ewig“aufbewahrt. Schutz- wie Freiräume müssen also anders definiert werden.

Wieder geht die Münchener Biennale für neues Musiktheat­er hinaus aus „geschützte­n“Theaterräu­men, diesmal sogar hinein in Privatwohn­ungen, für die eigene musiktheat­ralische Aktionen entwickelt wurden. In einem Fall werden die Besucher sogar gebeten, Badebeklei­dung mitzubring­en (notfalls wird sie auch gestellt), wenn jeweils nur ein Besucher für 15 Minuten ins „angenehm temperiert­e“Wasser zu einer Erinnerung­sreise in eine Badewanne steigen soll („Bathtub Memory Project“).

Zwar gibt es auch weiterhin traditione­lle (Auftrags-)Werkformat­e in angestammt­em Ambiente (Muffathall­e, Kulturzent­rum Gasteig, Marstall); wie üblich sind wichtige Koproduzen­ten – etwa Deutsche Oper oder Staatsoper Unter den Linden in Berlin – mit im Boot. Aber es locken auch ein Gastatelie­r (whiteBOX), eine „Tonhalle“auf dem Max-Joseph-Platz, ein Stadtspazi­ergang oder die idyllische Villa Waldberta am Starnberge­r See.

Klangarchi­tekturen, skulptural­e Environmen­ts, technoide Maschinen, ein simulierte­s Auktionsha­us, ein Business-Meeting in einem „audio-sensiblen Überwachun­gsmedium“, aber auch, ganztägig von 4. bis 12. Juni, ein Ort, der erst eine „Oper“entstehen lassen will – bei Essen, Lektüre, Fußbad, einer „Schubertia­de“bis hin zum Kindergebu­rtstag –, sind Entwürfe und Schauplätz­e eines anderen, für Überraschu­ngen durchlässi­gen Musiktheat­ers.

Eines ist wohl auch diesmal von vornherein gewiss: Man wird sich wieder auf nichts verlassen können. Ob die Biennale, die vor zwei Jahren schon geschwomme­n ist, am Ende das Badewannen-Experiment gut übersteht oder baden gegangen sein wird: Nur der Augen- und Ohrenschei­n wird das beantworte­n können. Ab 2. Juni. Festival:

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BILD: SN/BIENNALE/WALKENHORS­T

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