Er soll es für Russland richten
Der russische Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow war Publikumsliebling als Torwart bei Dynamo Dresden und dem FC Tirol.
Nicht, dass Tschertschessow kein Lächeln zeigt. Auf die Reporterfrage, ob es für ihn in der WM-Vorbereitung etwas anderes gäbe als Fußball, grinst er: „Soll ich jetzt lügen?“Aber er wird sofort wieder sachlich. „Wir sind fokussiert. Analyse, Analyse, Analyse. Wir arbeiten.“Seine Fußballer müssten Informationen erhalten, ausschlafen, und an nichts denken. „Sie sollen ausführen, was wir vorgeben.“
Stanislaw Tschertschessow, Trainer der russischen Nationalmannschaft, muss viel mit Journalisten reden. Vor dem Start der Heim-WM richtet die vaterländische Fußballöffentlichkeit ihr ganzes Interesse auf die Sbornaja. Der Trainer soll die Pleitenserie der vergangenen acht Jahre beenden, als Russland bei allen internationalen Turnieren spätestens in der Vorrunde hinausflog. Aber Tschertschessow, als Torwart einst Publikumsliebling bei Dynamo Dresden und dem FC Tirol, wirkt zugeknöpft wie ein russischer Gebietsgouverneur, den der Kreml in eine Krisenregion geschickt hat.
Krise des russischen Fußballs? „Wir sollten das achten, was wir haben, und es verbessern.“Keine Spielerpersönlichkeiten? „Wir haben keine Superstars, wir müssen uns als Mannschaft durchsetzen.“
Der 54-Jährige stammt aus dem nordkaukasischen Bergstädtchen Alagir, von dem er einmal scherzte, selbst die Adler würden sich dorthin nicht verfliegen. Jüngster Sohn eines Busfahrers, vier ältere Schwestern, er rettet sich ins Fußballtor, Absolvent der Fußballschule von Spartak Ordschonikidse, dann Torhüter der Reservemannschaft Spartak Moskaus, dann Nationaltorhüter. Mit seinem buschigen Schnauzbart verbreitete er im Strafraum das Charisma eines Zirkusdompteurs.
1993 wechselte er zu Dynamo Dresden, wo er das Publikum mit Glanzparaden faszinierte, aber auch mit riskanten Kunststückchen. An seinem 31. Geburtstag begann er bei einem Auswärtsspiel in Mönchengladbach nach einem Rückpass, den Ball zu jonglieren, ein Gladbacher funkte dazwischen, schoss das Leder ins Tor.
In Dresden nannten sie den Helden mit den Aussetzern „Stan“, später in Innsbruck, beim FC Tirol, „Schtani“. Auch wenn der Tiroler Trainer Joachim Löw ihn nach einer Verletzung zwischenzeitlich in die Amateurmannschaft abschob, Tschertschessow war maßgeblich am Gewinn dreier österreichischer Meistertitel hintereinander beteiligt.
Nach dem Ende seiner Karriere 2002 machte er in Österreich die Trainerlizenz, coachte den Drittligisten Kufstein, dann Wacker Innsbruck, kehrte 2007 zu Spartak Moskau zurück. Dort geriet er in Konflikt mit mehreren Stammspielern, die er mangels Disziplin aus dem Kader genommen hatte.
„Tschertschessow hat Probleme mit Spielerpersönlichkeiten, ihm fehlt das diplomatische Geschick, um Zugang zu komplizierteren Charakteren zu finden“, sagt der Moskauer Fußballexperte Alexei Lebedew. Aber mit Legia Warschau wurde er 2016 polnischer Meister, danach russischer Nationaltrainer.
Der Trainer zählt seinen Stürmern in der Sbornaja nicht ihre Tore vor, sondern die Zahl ihrer Ballberührungen. Die Auswahl seiner Nationalspieler begründet er mit Sprintergebnissen, über seine Ziele bei der WM äußert er sich nur sehr unwillig. „Ein Hürdenläufer, der an die letzte Hürde denkt, stolpert über die erste“, sagt er. Und schon in der Gruppenphase gebe es mit drei Gegnern drei Hürden zu überwinden.
So zugeknöpft sich Tschertschessow auch gibt, als Torwart warf er mit Spartak einmal den FC Neapel und Diego Maradona aus der Champions League, schaffte es nach einem sensationellen Auswärtssieg bei Real Madrid gar bis ins Halbfinale.
Und falls er im Trainingslager doch einmal nicht arbeiten sollte, dann wird auch er von neuen Sensationen träumen.