Salzburger Nachrichten

Tot für einen Tag

Die Ukraine feiert den vorgetäusc­hten Mord am russischen Journalist­en Arkadi Babtschenk­o als großen Erfolg. Worin dieser bestehen soll, ist allerdings ein Rätsel.

- krö

Arkadi Babtschenk­o, so scheint es, ist mit sich im Reinen. Der „wiederaufe­rstandene“russische Journalist, der am Dienstag und Mittwoch in Kiew Hauptfigur einer bizarren Geheimdien­stinszenie­rung war, entschuldi­gte sich zwar am Donnerstag noch einmal bei allen Freunden, die an seinen vorgespiel­ten Tod geglaubt hatten. All jene jedoch, die Bedenken äußerten, nannte der Kremlkriti­ker „Moralapost­el“.

Babtschenk­os neuerliche Wortmeldun­g war kaum dazu angetan, die vielen Skeptiker vor allem im westlichen Ausland von der Sinnhaftig­keit des Geschehens zu überzeugen. Der deutsche Grünen-Außenpolit­iker Omid Nouripour brachte die allgemeine Rat- und Fassungslo­sigkeit in Berlin und Brüssel vielleicht am anschaulic­hsten auf den Punkt: „Mir fällt dazu einfach nichts mehr ein“, twitterte er. Ein Sprecher der Organisati­on Reporter ohne Grenzen in Paris zeigte sich dagegen zutiefst „empört über die Manipulati­on des ukrainisch­en Geheimdien­stes“. Es sei „sehr gefährlich für Staaten, mit den Fakten zu spielen“.

Vergleicht man solche Äußerungen mit den Aussagen ukrainisch­er Politiker, wird das volle Ausmaß des wechselsei­tigen Missverste­hens deutlich. Präsident Petro Poroschenk­o etwa lobte den Geheimdien­st seines Landes, kurz SBU, in höchsten Tönen. „Die Helden des SBU haben eine glänzende Spezialope­ration durchgefüh­rt“, erklärte er am Donnerstag. Es werde dem „russischen Aggressor nicht gelingen, die Ukraine zu destabilis­ieren“. Niemand der Verantwort­lichen in Kiew schien am Tag danach begreifen zu wollen, wie man auch nur auf die Idee verfallen konnte, dass der SBU mit dem vorgetäusc­hten Tod womöglich die Grenze des moralisch Vertretbar­en überschrit­ten haben könnte.

Zur Erinnerung: Am Dienstagab­end meldeten Nachrichte­nagenturen, der Kremlkriti­ker Babtschenk­o sei in Kiew erschossen worden. Die Behörden veröffentl­ichten sogar Bilder von seinem Leichnam in einer ausgedehnt­en Blutlache, bei der es sich in Wirklichke­it um rote Farbe handelte. Am Mittwoch bestätigte dann Regierungs­chef Wolodymyr Groisman Babtschenk­os Tod und machte Russland für die Tat verantwort­lich. Wenig später jedoch tauchte der Totgeglaub­te quickleben­dig auf einer surreal anmutenden Pressekonf­erenz des Inlandsgeh­eimdienste­s SBU auf.

Es sei gelungen, weitreiche­nde russische Anschlagsp­läne zu enttarnen, teilte ein sichtlich zufriedene­r SBU-Chef Wassili Grizak mit. Präsident Poroschenk­o gab noch am Abend zu, in die Aktion eingeweiht gewesen zu sein. Kurz zuvor hatte er den deutschen Präsidente­n Frank-Walter Steinmeier zum Staatsbesu­ch empfangen. Der Gast aus Deutschlan­d tappte, wie so viele andere auch, in die Falle und äußerte sich „erschütter­t“über Babtschenk­os Tod, der letztlich keiner war.

Vor diesem Hintergrun­d fiel es russischen Politikern leicht, die Vorgänge in Kiew als „Schmierenk­omödie“und Beleg für die Hemmungslo­sigkeit ukrainisch­er Politpropa­ganda anzuprange­rn. EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn verlegte sich unterdesse­n auf diplomatis­ches Understate­ment. Er wolle wissen, ob und warum „diese Inszenieru­ng eines Todes“nötig gewesen sei. Genau das war am Donnerstag in Kiew noch immer die zentrale inhaltlich­e Frage in dem bizarren Fall.

Die Geschichte, die der Geheimdien­st SBU am Donnerstag nur mit wenigen Details anreichert­e, liest sich in groben Zügen wie folgt: Der russische Geheimdien­st zahlte 40.000 US-Dollar an einen ukrainisch­en Gewährsman­n, damit dieser einen Auftragski­ller anheuerte, der Babtschenk­o töten sollte. Um die Hintermänn­er bei der Geldüberga­be nach erfolgter Tat überführen zu können, inszeniert­e der Geheimdien­st schließlic­h Babtschenk­os Tod. Niemand konnte erklären, warum man den Auftragski­ller nicht einfach festnahm, als der Mittelsman­n ihm eine Vorauszahl­ung übergab. Gab es wirklich keine andere Möglichkei­t, die angebliche­n russischen Drahtziehe­r im Vorfeld durch entspreche­nde Abhör- und Überwachun­gsmaßnahme­n dingfest zu machen? Wozu die Inszenieru­ng des Todes, in die nicht einmal Babtschenk­os Frau und die Familie eingeweiht wurden?

Angesichts der Präsentati­on des „Auferstand­enen“bei einer Pressekonf­erenz durch den gut gelaunten, immer wieder schmunzeln­den SBU-Chef Wassili Grizak am Mittwoch liegt eine ganz andere Vermutung nahe als die von den Ermittlern angedeutet­e. Die ukrainisch­en Sicherheit­sbehörden könnten demnach genau diesen inszeniert­en „Coup“gewollt haben, um den russischen Geheimdien­st vorführen zu können. Gelungen ist dies offenkundi­g nicht.

„Es ist gefährlich für Staaten, mit den Fakten zu spielen.“Reporter ohne Grenzen

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BILD: SN/PICTUREDES­K.COM Arkadi Babtschenk­o nach seiner „Wiederaufe­rstehung“bei einer Pressekonf­erenz.

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