Salzburger Nachrichten

Der Zaun in den Köpfen

Kurz vor der „Tatort“-Sommerpaus­e gerät das bayrische Ermittlerg­espann in eine abgekapsel­te Gemeinscha­ft demokratie­feindliche­r Reichsbürg­er.

- Tatort: Freies Land, am Sonntag ab 20.15 Uhr, ORF 2/ARD.

Florian Berg liegt tot in einer Badewanne. Seine Pulsadern sind aufgeschni­tten, aber die Tatwaffe fehlt. Florians Mutter beschuldig­t die Freiländer. Bei diesen Reichsbürg­er-artigen Aussteiger­n, die sich in einem verlassene­n Zipfel Niederbaye­rns abgekapsel­t haben, war der Tote für die Buchhaltun­g zuständig. Bis er sich im Streit von der Gruppe und ihrem charismati­schen Führer Ludwig Schneider (Andreas Döhler) trennte.

Die Kommissare Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) begeben sich auf eine lange Autofahrt ins fiktive Örtchen Traitach. Selbst außerhalb des imposanten Zauns, mit dem sich die Freiländer abschotten, scheint deren „Staat“sehr einflussre­ich zu sein.

In Zeiten, da Verschwöru­ngstheorie­n blühen, hat die absurde Reichsbürg­erbewegung in Deutschlan­d einigen Zulauf. 15.000 Mitglieder rechnete der Verfassung­sschutz im September 2017 der Gruppierun­g zu – Tendenz: stark steigend. Etwa 1000 unter ihnen gelten als rechtsextr­em und gewaltbere­it.

Drehbuchau­tor Holger Joos („Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz“) beging nicht den Fehler, die Reichsbürg­er seines „Tatorts“von Anfang an in eine böse Ecke zu stellen. Als Leitmayr und Batic den „Alten Eber“erreichen, den Gasthof des menschenle­er scheinende­n Dörfchens an der tschechisc­hen Grenze, finden sie die Bewohner bei einer Veranstalt­ung der Freiländer vor.

Deren von Andreas Döhler („Millionen“) gespielter Anführer schafft es, tatsächlic­he Begeisteru­ng und Aufbruchss­timmung für ein neues Leben zu vermitteln. So wie das junge Amerika sich einst von der britischen Krone lossagte, will auch er Deutschlan­d die lange Nase zeigen. Die Gesetze und Autoritäte­n des in seinen Augen illegitime­n Staates erkennt er nicht an.

Der Plan: Seine Freiländer wollen immer mehr Land kaufen und desillusio­nierte Dörfler sowie Zugereiste vom besseren Leben im Freiland überzeugen – um dort den Traum eines sozialisti­sch-solidarisc­hen Paradieses zu leben – freilich mit rechtem Gedankengu­t.

Durch die Augen von Batic und Leitmayr erlebt der Zuschauer die Ohnmacht des Rechtsstaa­ts gegenüber der aggressive­n Verweigeru­ng der Freiländer. Die örtliche Polizei, symbolisie­rt durch den urigen Dorfpolizi­sten Mooser (Sigi Zimmerschi­ed), hat längst aufgegeben. Auch die Münchner müssen erkennen: Die Reichsbürg­er haben ein geschlosse­nes Weltbild geschaffen, das sich effizient gegen Recht und Demokratie richtet.

So wie Batic und Leitmayr im Film werden auch echte Polizeibea­mte im Umgang mit Reichsbürg­ern angewiesen, sich auf keine Provokatio­nen einzulasse­n und das Gesetz schnörkell­os durchzuset­zen. Dass Nüchternbl­eiben trotz permanente­r Provokatio­n und Paragrafen­dreherei nicht so einfach ist, müssen die Münchner Kommissare während ihres „out of area“Einsatzes schmerzlic­h feststelle­n. Vor der Fahrt nach Traitach fragt Leitmayr seinen Kollegen Batic: „Wir zwei jenseits der S-Bahn. Wann war’n mir des schon einmal?“

Regisseur Andreas Kleinert steigt in diesen „Tatort“ein – mit intensivem Stimmengew­irr eines improvisie­rten Call Centers. Hier werden Wutbürger, Verschwöru­ngstheoret­iker und andere Enttäuscht­e beraten, wie man sich effektiv gegen den Staat wehrt. So kommt der Zuschauer rasch in den „Genuss“des Verführung­spotenzial­s des kruden Reichsbürg­er-Gedankengu­ts.

Wie der Film und sein exzellente­s Schauspiel­er-Ensemble die Demaskieru­ng eines gesellscha­ftlichen Zeitphänom­ens betreiben, ohne dabei in ein politische­s Lehrstück zu verfallen, ist herausrage­nd konzipiert und subtil erzählt.

Dieser „Tatort“betreibt die öffentlich-rechtliche Aufarbeitu­ng des Themas vorbildlic­h: investigat­iv, aber auch mit künstleris­cher Note. Wenn Kommissar Leitmayr und der alte Alois auf dem Steg eines hochsommer­lichen Sees über Wahrheit diskutiere­n, ist das nicht nur verständli­che wissenscha­ftliche Philosophi­e, sondern es macht auch einfach Spaß. Wie das kühle Bier, mit dem die Protagonis­ten ihre verschwitz­ten Münder kühlen. Eine achtsame Demokratie hat auch mit Intelligen­z und Sinnlichke­it zu tun.

Die Freiländer schirmen sich mit einem imposanten Zaun ab, der auch in den Köpfen existiert. Der polizeilic­he Status der Ermittler aus München gilt nichts. Der zuständige Staatsanwa­lt hat schon lang resigniert und der Leiter der Traitacher PolizeiDie­nststelle Mooser verweist auf die bereits angesammel­ten Aktenberge zu Anzeigen wegen Hausfriede­nsbruch, Beamtenbel­eidigungen und Dienstaufs­ichtsbesch­werden. Er will keine weiteren Scherereie­n! Er hält sich lieber heraus und isst im „Alten Eber“seinen mittäglich­en Schweinsbr­aten.

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BILD: SN/ORF/BR/ HENDRIK HEIDEN Drei Originale: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Sigi Zimmerschi­ed im jüngsten „Tatort“.

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