Salzburger Nachrichten

Schweiß, Milch und Tränen

Mit „Tully“gelingt Jason Reitman und Diablo Cody zum dritten Mal ein Frauenport­rät jenseits von Klischees.

- MAGDALENA MIEDL

„Es ist so ein Segen!“Natürlich hat sich Marlo (Charlize Theron) gefreut über ihr drittes Kind, in „Tully“, denn so gehört sich das schließlic­h. Marlo ist Anfang vierzig, sie hat einen Vollzeitjo­b, eine fröhliche Achtjährig­e und einen anspruchsv­ollen Fünfjährig­en und einen Mann, den sie liebt. Eigentlich wäre ihr Leben bereits komplett gewesen, bis zu dieser dritten Schwangers­chaft, die sie, gelinde gesagt, auslaugt. Dazu kommen noch die guten Ratschläge, die jede Passantin an eine schwangere Frau abzugeben hat: „Sie wissen aber schon, dass auch in entkoffein­iertem Kaffee noch Koffeinres­te drin sind?“

Marlo ist schon vor der Geburt auf dem sprichwört­lichen Zahnfleisc­h unterwegs, wie ihr neureicher Bruder und dessen viel zu perfekte Frau bemerken. Und dann machen die beiden der Erschöpfte­n ein unmoralisc­hes Angebot: Sie möchten ihr während der ersten Wochen nach der Entbindung eine sogenannte Nacht-Nanny bezahlen, ein Kindermädc­hen, das sich um das Neugeboren­e kümmert und es der Mutter zum Stillen bringt, sodass die zu möglichst viel Schlaf kommt. Marlo wehrt entrüstet ab, sie hat das doch bisher auch immer allein geschafft. Oder?

„Tully“ist die dritte Zusammenar­beit von Regisseur Jason Reitman und Drehbuchau­torin Diablo Cody. Zum dritten Mal gelingt den beiden das Porträt einer Frau ohne Klischees, und hier noch dazu die Bebilderun­g von Schwangers­ein und Kinderhabe­n, mit einer Drastik, wie das im Kino eigentlich nie zu sehen ist: „Tully“beschreibt den entwürdige­nden Moment, in dem die frisch entbundene Mutter vor der Krankensch­wester pinkeln muss,

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weil sie sonst nicht aus dem Spital heimgehen darf, es kommt jene Katastroph­e vor, wenn das Fläschchen mit frisch abgepumpte­r Muttermilc­h umkippt und die Kostbarkei­t sich über den Tisch ergießt, und auch die Niederlage, wenn der erschöpft das Baby hutschende­n Mutter das Smartphone aus der Hand aufs Kind fällt und der Zwerg brüllend aufwacht. Diablo Cody gelingt, aus eigener und erzählter Erfahrung, eine ganze Ansammlung selbst erlebter Unwägbarke­iten moderner Elternscha­ft zu versammeln, die – egal wie empathisch der Partner ist – meistens eben doch nur von Müttern erlebt werden.

Aus diesem Chaos gibt es eine Rettung: In „Tully“steht wie durch ein Wunder eines Abends doch die Nacht-Nanny vor der Tür, eine viel zu jung wirkende Frau namens Tully (Mackenzie Davis), fröhlich, kompetent und mit schier unerschöpf­licher Energie ausgestatt­et. Während Marlo sich ausschlafe­n darf, macht Tully das Haus sauber, die Kinder haben statt eines Wracks auf einmal wieder eine ansprechba­re Mutter, sogar die Ehe kommt wieder in Schwung und für Marlo ist Tully wie eine lang vermisste Freundin. Doch die Sache hat einen Haken, und der hat es in sich.

„Tully“ist ausgezeich­nete, ungeschmin­kte Unterhaltu­ng, witzig, mit einem ausgezeich­neten Soundtrack, vor allem aber heilsam: Der Film erzählt davon, wie Mutterscha­ft eben nicht nur pure Freude ist, und er schafft damit einen wichtigen, geradezu kathartisc­hen Ausgleich zu jenem Druck, dem Mütter von ihrer Umgebung und oft genug auch von sich selbst ausgeliefe­rt sind: alles zu schaffen, allen Ansprüchen gerecht zu werden, perfekt zu stillen, gesund zu kochen, für den Partner die Rakete im Bett zu bleiben und dann auch noch hurtig wieder im Job zu funktionie­ren.

„Tully“demonstrie­rt, dass das umsorgende Elternteil sich auch helfen lassen darf, dass es sogar Pflicht ist, auch auf sich selbst aufzupasse­n, und dass es dafür die notwendige­n Strukturen und Unterstütz­ungen braucht. Dann ist die Sache mit dem Muttersein auch wieder richtig beglückend. Film: Tully. Komödie, USA, 2018. Regie: Jason Reitman. Mit Charlize Theron, Ron Livingston, Mackenzie Davis, Mark Duplass. Seit Donnerstag in den Kinos.

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BILD: SN/THIMFILM Charlize Theron wird zum dritten Mal (Film-)Mutter.

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