1961 Die Weltpolitik gastiert in Wien
Mitten im Kalten Krieg trafen einander in Wien Sowjetführer Chruschtschow und US-Präsident Kennedy. Das Treffen verlief in spannungsgeladener Atmosphäre. Und Jackie K. faszinierte die Klatschpresse.
Es war ein Treffen auf allerhöchster Ebene, das am 3. und 4. Juni 1961 Wien in den Ausnahmezustand versetzte. Ein Treffen, das zwar den Lauf der Weltgeschichte nicht wesentlich beeinflusst hat, das aber einige Bilder produzierte, die heute noch im kollektiven Bewusstsein verankert sind.
Etwa das Bild des behäbigen sowjetischen Führers Nikita Chruschtschow, auf dem Sofa gemeinsam mit dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy – dieser jung und strahlend und dennoch sichtbar von seiner Krankheit gezeichnet. Dazwischen sitzend, fast wie ein Vermittler, der würdige österreichische Bundespräsident Adolf Schärf.
Und da waren die Bilder der beiden First Ladies. Jackie Kennedy von unüberbietbarer Eleganz, sie war damals und noch lange Jahre danach eine Stilikone ihrer Zeit. Und an ihrer Seite die bieder wirkende Nina Chruschtschowa, drei Jahrzehnte älter als Jackie und ihr Gegenpol, die weder um ihre Frisur noch um ihre Kleidung großes Getue veranstaltete.
Was blieb sonst von diesem Treffen zwischen dem sowjetischen Führer, der die Säuberungen der Stalin-Zeit überlebt und sich in blutigen Machtkämpfen an die Spitze seines Staates gesetzt hatte, und dem amerikanischen Staatspräsidenten, der im Kalten Krieg Millionen Menschen auf der ganzen Welt als Hoffnungsträger galt? Nicht allzu viel, besser gesagt: nicht allzu viel Positives, wie der Zeitzeuge Hugo Portisch auf SN-Anfrage betont. „Von den Ergebnissen her war das Treffen in Wien enttäuschend“, sagt der legendäre Journalist, der die Ereignisse als damaliger Chefredakteur des „Kurier“aus erster Hand miterlebte. „Chruschtschow dachte, er könne den jungen amerikanischen Präsidenten überrumpeln“, sagt Portisch. Der Sowjetführer „versuchte, Kennedy Westberlin abzupressen, er wollte die Amerikaner dazu bringen, Westberlin aufzugeben, und dadurch die DDR zu konsolidieren.“Doch Kennedy habe diesem Wunsch der Sowjets nicht nachgegeben. Was dazu führte, dass der Kalte Krieg weiter erkaltete. Die Sowjetunion machte sich daran, Atomraketen in Kuba zu stationieren, die Welt geriet an den Rand einer Katastrophe. „Letzten Endes musste sich die Sowjetunion dem amerikanischen Druck beugen und auf die Raketen in Kuba verzichten“, berichtet Portisch. Doch als Preis für diesen Verzicht trotzte Chruschtschow Kennedy die Garantie ab, dass die USA niemals Kuba angreifen würden. „Das war ein Punktesieg für Chruschtschow. Und eine indirekte Folgeerscheinung des Treffens in Wien“, urteilt Portisch.
Nicht nur in politischer, auch in menschlicher Hinsicht war es ein schwieriges Treffen zweier unterschiedlicher Charaktere. Chruschtschows Sohn Sergej erinnert sich: „Vater wollte Kennedy beweisen, dass die Sowjetunion die Vereinigten Staaten schon bald hinter sich lassen würden.“Was natürlich nicht gelungen sei, schreibt Sergej Chruschtschow im Buch „Der Wiener Gipfel“(Studien-Verlag). Ein damaliger Assistent des Sowjetführers gab später zu Protokoll, dass Chruschtschow den US-Präsidenten für einen „unerfahrenen“, „vielleicht sogar unreifen Mann“gehalten habe. Und Chruschtschow selbst erinnerte sich an den letzten Verhandlungstag: „Wir trennten uns, und die Spannung zwischen uns war merklich angewachsen.“
Das dürre Abschlusskommuniqué umfasste nur 125 Worte.
„Wir Journalisten haben uns Tage geplagt, um herauszufinden, was da eigentlich los war. Sie haben beide dazu geschwiegen. Freundlich im Ton, aber harte Fronten“, erinnert sich Zeitzeuge Hugo Portisch an die auch journalistische Unergiebigkeit des Gipfeltreffens.
Wenigstens den Klatschblättern wurde reichlich Stoff geliefert. Dies vor allem durch First Lady Jackie Kennedy, erklärter Liebling der Gazetten, die angeblich mit 40 Koffern angereist war. Die Blätter rühmten ihre „Eleganz“und ihr „bezauberndes Lächeln“.
Viel Zeit blieb den damaligen Führern der Weltmächte nicht mehr. Chruschtschow wurde am 14. Oktober 1964 gestürzt. Kennedy war bereits ein Jahr vorher, am 22. November 1963, einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Die Sowjetunion erstarrte auf Jahrzehnte. Die USA schlitterten ins VietnamDebakel. Die Welt drehte sich weiter. Das Wiener Treffen geriet bald in Vergessenheit.