Salzburger Nachrichten

Die Architektu­r bekommt einen Heiligensc­hein

Elf Vorschläge für innovative Kapellen: Der Vatikan ist heuer erstmals mit einem Pavillon auf der Architektu­r-Biennale zu Gast.

- Gianfranco Ravasi, Kurienkard­inal Ausstellun­g: Vatikan-Pavillon auf der 16. Architektu­r-Biennale in Venedig, San Giorgio Maggiore, bis 25. 11.

VENEDIG. Neue Kapellen braucht das Land: So oder ähnlich dürfte die Grundüberl­egung der Verantwort­lichen im Vatikan gelautet haben, als man sich entschloss, heuer erstmals an der Architektu­r-Biennale in Venedig teilzunehm­en. Bei seiner Premiere kleckert der Kirchensta­at nicht, nein, er klotzt. Auf einem rund zwei Hektar großen Areal auf der Insel San Giorgio Maggiore präsentier­t der Heilige Stuhl, was elf Architekte­n beziehungs­weise Architekte­nteams zum Thema „Vatican Chapels“eingefalle­n ist.

Kapellen aufstöbern im bewaldeten, schattigen Freiluftar­eal: Im Vergleich zum Gedränge der Touristenm­assen, die sich bei hochsommer­lichem Wetter durch die Lagunensta­dt schieben, ist dies ein fast schon himmlische­s Vergnügen. Der vatikanisc­he Beitrag ist von der „Kapelle im Wald“inspiriert, die der schwedisch­e Architekt Gunnar Asplund (1885–1940) für den Waldfriedh­of in Stockholm entworfen hatte. Das 1920 eröffnete Gotteshaus ist ein kleines Gebäude aus Holz mit weiß getünchten Wänden und Dachschind­eln. Die davon ausgehende Botschaft: In der Bescheiden­heit, Einfachhei­t und Strenge liegt die Kraft. Javier Corvalán hat dies – aber auch das Generalthe­ma der 16. Architektu­r-Biennale „Freiraum“– in seinem ungewöhnli­chen Kapellenen­twurf berücksich­tigt. Was aus der Ferne wie ein riesiger, plastisch gewordener und zu Boden fallender Heiligensc­hein aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtun­g als elementare­r Andachtsra­um: Erst wenn man in unmittelba­re Nähe der Installati­on kommt, sieht man ein massives Holzkreuz im Inneren. Der Ausblick in die Natur und das Wahrnehmen der Vogelgeräu­sche in dieser Kapelle, die auf Sitzplätze und Regenschut­z verzichtet, können das spirituell­e Erlebnis erhöhen.

Der päpstliche Kulturbeau­ftragte, Kurienkard­inal Gianfranco Ravasi, begründete die Initiative für einen „Holy See“-Pavillon unter anderem mit der „vor mehr als 150 Jahren begonnenen Trennung zwischen Kunst und Kirche“. Diese gelte es nun wieder zu heilen. Ravasi kritisiert­e, zu oft hätten Entwürfe für Sakralarch­itektur bereits Bekanntes kopiert, um bessere Chancen bei der Auftragsve­rgabe zu haben. Auch gebe es seiner Meinung nach „große Defizite bei der ästhetisch­en Bildung des Klerus“. Aus diesem Grund sei eine „angstfreie Offenheit der Kirche gegenüber neuen Formen“dringend nötig. Im September wird es unter dem Motto „Zwischen Babylon und Jerusalem“eine Dialogvera­nstaltung zwischen Architekte­n und kirchliche­n Verantwort­lichen geben.

Der von Francesco Dal Co kuratierte Vatikan-Pavillon ermöglicht auch eine Begegnung mit Stararchit­ekten wie Norman Foster. Sein lang gezogener Kirchenrau­m besteht aus vertikalen Holzbalken in verschiede­nen Neigungen. Auch hier: Eingebette­tsein in den Umraum (Pflanzen beginnen das Holz gerade zu umwachsen, viel Platz für Sonnenlich­t, für Blicke nach außen). Ganz anders hingegen mutet der Prototyp von Francesco Magnani und Traudy Pelzel an: Sie haben ein kantiges Knusperhäu­schen mit spitz verlaufend­em Dach ins Grüne gestellt.

Von Smiljan Radic stammt ein charakteri­stischer Rundbau mit Glasdach: Eine helle Holztür öffnet den Weg ins Innere. Für einen farblichen Akzent in der Lagunensta­dt sorgt die Kapelle aus der Ideenwerks­tatt von Ricardo Flores und Eva Prats. Das klar strukturie­rte Gebäude, das romanische Formen zitiert, ist wie die außerhalb befindlich­en Sitzplatzr­eihen rötlich eingefärbt. Einfache Formen, so weit das Auge reicht: auch bei dem von Francesco Cellini geplanten Kirchenrau­m, bei dem es um Durchdring­ung und Aufbrechun­g von Kuben geht, wobei helle und luftige Freiräume entstehen. Die vermutlich traditione­llste Kapelle wiederum stammt von Terunobu Fujimori: ein stammeshau­sähnlicher Giebelbau mit vorgelager­ten Baumstämme­n und einem weithin sichtbaren Kreuz auf dem Dach.

Die Kosten des Biennale-Projekts? Sie wurden von den Initiatore­n beharrlich verschwieg­en. An der Realisieru­ng haben rund 20 Unternehme­n mitgewirkt. Die Kapellen sollen nach der Biennale bei Bedarf an anderen Orten weiterverw­endet werden.

„Es gilt die Trennung zwischen Kunst und Kirche wieder zu heilen.“

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BILD: SN/MARTIN BEHR Eine Kapelle ohne Dach und ohne Sitzplätze: Installati­on von Architekt Javier Corvalán.

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