Die Architektur bekommt einen Heiligenschein
Elf Vorschläge für innovative Kapellen: Der Vatikan ist heuer erstmals mit einem Pavillon auf der Architektur-Biennale zu Gast.
VENEDIG. Neue Kapellen braucht das Land: So oder ähnlich dürfte die Grundüberlegung der Verantwortlichen im Vatikan gelautet haben, als man sich entschloss, heuer erstmals an der Architektur-Biennale in Venedig teilzunehmen. Bei seiner Premiere kleckert der Kirchenstaat nicht, nein, er klotzt. Auf einem rund zwei Hektar großen Areal auf der Insel San Giorgio Maggiore präsentiert der Heilige Stuhl, was elf Architekten beziehungsweise Architektenteams zum Thema „Vatican Chapels“eingefallen ist.
Kapellen aufstöbern im bewaldeten, schattigen Freiluftareal: Im Vergleich zum Gedränge der Touristenmassen, die sich bei hochsommerlichem Wetter durch die Lagunenstadt schieben, ist dies ein fast schon himmlisches Vergnügen. Der vatikanische Beitrag ist von der „Kapelle im Wald“inspiriert, die der schwedische Architekt Gunnar Asplund (1885–1940) für den Waldfriedhof in Stockholm entworfen hatte. Das 1920 eröffnete Gotteshaus ist ein kleines Gebäude aus Holz mit weiß getünchten Wänden und Dachschindeln. Die davon ausgehende Botschaft: In der Bescheidenheit, Einfachheit und Strenge liegt die Kraft. Javier Corvalán hat dies – aber auch das Generalthema der 16. Architektur-Biennale „Freiraum“– in seinem ungewöhnlichen Kapellenentwurf berücksichtigt. Was aus der Ferne wie ein riesiger, plastisch gewordener und zu Boden fallender Heiligenschein aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als elementarer Andachtsraum: Erst wenn man in unmittelbare Nähe der Installation kommt, sieht man ein massives Holzkreuz im Inneren. Der Ausblick in die Natur und das Wahrnehmen der Vogelgeräusche in dieser Kapelle, die auf Sitzplätze und Regenschutz verzichtet, können das spirituelle Erlebnis erhöhen.
Der päpstliche Kulturbeauftragte, Kurienkardinal Gianfranco Ravasi, begründete die Initiative für einen „Holy See“-Pavillon unter anderem mit der „vor mehr als 150 Jahren begonnenen Trennung zwischen Kunst und Kirche“. Diese gelte es nun wieder zu heilen. Ravasi kritisierte, zu oft hätten Entwürfe für Sakralarchitektur bereits Bekanntes kopiert, um bessere Chancen bei der Auftragsvergabe zu haben. Auch gebe es seiner Meinung nach „große Defizite bei der ästhetischen Bildung des Klerus“. Aus diesem Grund sei eine „angstfreie Offenheit der Kirche gegenüber neuen Formen“dringend nötig. Im September wird es unter dem Motto „Zwischen Babylon und Jerusalem“eine Dialogveranstaltung zwischen Architekten und kirchlichen Verantwortlichen geben.
Der von Francesco Dal Co kuratierte Vatikan-Pavillon ermöglicht auch eine Begegnung mit Stararchitekten wie Norman Foster. Sein lang gezogener Kirchenraum besteht aus vertikalen Holzbalken in verschiedenen Neigungen. Auch hier: Eingebettetsein in den Umraum (Pflanzen beginnen das Holz gerade zu umwachsen, viel Platz für Sonnenlicht, für Blicke nach außen). Ganz anders hingegen mutet der Prototyp von Francesco Magnani und Traudy Pelzel an: Sie haben ein kantiges Knusperhäuschen mit spitz verlaufendem Dach ins Grüne gestellt.
Von Smiljan Radic stammt ein charakteristischer Rundbau mit Glasdach: Eine helle Holztür öffnet den Weg ins Innere. Für einen farblichen Akzent in der Lagunenstadt sorgt die Kapelle aus der Ideenwerkstatt von Ricardo Flores und Eva Prats. Das klar strukturierte Gebäude, das romanische Formen zitiert, ist wie die außerhalb befindlichen Sitzplatzreihen rötlich eingefärbt. Einfache Formen, so weit das Auge reicht: auch bei dem von Francesco Cellini geplanten Kirchenraum, bei dem es um Durchdringung und Aufbrechung von Kuben geht, wobei helle und luftige Freiräume entstehen. Die vermutlich traditionellste Kapelle wiederum stammt von Terunobu Fujimori: ein stammeshausähnlicher Giebelbau mit vorgelagerten Baumstämmen und einem weithin sichtbaren Kreuz auf dem Dach.
Die Kosten des Biennale-Projekts? Sie wurden von den Initiatoren beharrlich verschwiegen. An der Realisierung haben rund 20 Unternehmen mitgewirkt. Die Kapellen sollen nach der Biennale bei Bedarf an anderen Orten weiterverwendet werden.
„Es gilt die Trennung zwischen Kunst und Kirche wieder zu heilen.“