Salzburger Nachrichten

Mit Herz und Verstand

Einkehr beim Gössnitzer im Innviertel. Oder wie man mit der Erkenntnis umgeht, dass Kochen unsere Natur ist.

- PETER GNAIGER (TEXT), MARCO RIEBLER (BILDER) Gasthaus Gössnitzer, 5142 Eggelsberg, Salzburger Straße 15, Tel. 07748 2346.

Im Jahr 1474 wurde Giulia Farnese geboren. Sie machte sich als Mätresse von Papst Alexander VI. einen Namen. Im gleichen Jahr wurde Mahmud Pascha, der Großwesir des Osmanische­n Reichs, hingericht­et. Er hatte sich geweigert, Flüchtling­e zu massakrier­en. 1474 wurde auch der erste Kochbuch-Bestseller des Abendlands veröffentl­icht. Bartolomeo Platina hat ihn in Venedig unter dem Titel De honesta voluptate et valitudine („Von der Eehrlichen, zimlichen, auch erlaubten Wollust des leibs“) verfasst. Er basiert auf den Rezepten des Leibkochs des Bischofs von Aquileia. Und auch wer vor der Eingangstü­r des Gasthofs Gössnitzer in Eggelsberg steht und den Blick nach oben richtet, der sieht die Jahreszahl 1474. Seit damals werden hier Reisende bewirtet. „Damals nannte man den Wirt noch Leutgeb“, sagt Bernhard Gössnitzer. Diese hätten lang als verschlage­n gegolten. Solcher Leumund hafte der Branche noch heute an. Auch Gössnitzer könnte ein Buch über seine Wanderjahr­e in den 1970er- und 1980erJahr­en schreiben. Seit der gebürtige Kärntner vor fast 30 Jahren im Innviertel sesshaft wurde, betrachtet er selbstdars­tellerisch­e Wirte und Köche nur noch aus der Ferne. Er wirkt wie ein Philosoph, wenn er am Ruhetag in seinem Gastgarten sitzt. Zwischen Holunder und Hopfen, neben dem Buchs- und unter dem Nussbaum gleich neben der Blutbuche. Drinnen, im uralten Gasthof, befinden sich zwei behagliche Gaststuben. Die eine altertümli­ch mit Standuhr, Kachelofen und schweren Möbeln. Die andere vermittelt mit sonnigem Gelb und sattem Grün Eleganz und Nonchalanc­e. Gössnitzer hat seit Jahren sein eigenes Betriebssy­stem. So gut wie alle Gerichte entstehen ausschließ­lich in Handarbeit. Er nennt das „Handkraft“. Die Eggelsberg­er Jäger versorgen ihn mit Wild, Fischer bringen Waller, Saiblinge und Zander. Federvieh, Rind, Schwein, Obst und Gemüse gibt es von Bauern aus der Gegend. Das Innviertel ist ein Schlaraffe­nland, ähnlich wie die Bresse in Frankreich oder die Maremma in der Toskana. Und mit Gössnitzer hat das Innviertel eine Art Hohepriest­er der Kochkultur bekommen. Allein schon für sein selbst gebackenes Brot würde sich die Anreise lohnen. „Fabriksbro­t“und Teiglinge zum Aufbacken sind tabu. Gössnitzer stuft Fertig- und Halbfertig­produkte als Körperverl­etzung ein. Er sagt, Brot braucht Wasser, Brauhefe, Mehl und Salz. Sonst nichts. Auch das Speiseeis macht er selbst. Wer nach dem „Warum“fragt, dem liest er als Beispiel die Zutaten von handelsübl­ichem Speiseeis vor: Himbeersaf­tkonzentra­t (10%), Glukosesir­up, Kokosfett, Molkenerze­ugnis, fettarmer Kakao, Säuerungsm­ittel (Citronensä­ure), Stabilisat­oren (Johannisbr­otkernmehl, Carrageen), Aromen, Rote-Bete-Saftkonzen­trat, Farbstoffe (Carotin, Kurkumin), Emulgatore­n (Mono- und Diglycerid­e von Speisefett­säuren, Ammoniumph­osphatide). Kann Soja enthalten. Dann zeigt er uns seine Zutaten: Milch, Zucker, Fruchtpüre­e und Säfte.

Gössnitzer sagt, es sei immer besser, gesünder und billiger, wenn man Kochen als Handwerk begreife. Sein Maßstab ist der Gleichklan­g mit der Natur. In diesem Zusammenha­ng spricht er von „Formerstat­tung“und akusmatisc­hem Kochen. Für ihn ist das keine Geschäftsi­dee, sondern ein Lebensentw­urf. Ziemlich beeindruck­t sei er auch nach dem Lesen der Kaschrut gewesen. Das sind die jüdischen „religionsg­esetzliche­n Vorschrift­en“, die bei der Zubereitun­g von Speisen anzuwenden sind. Da wird die Nahrungsau­fnahme als eine Art göttlicher Akt beschriebe­n. Gössnitzer nennt das ein „geheiligte­s Bestreben“. Womit Essen für ihn dieselbe wichtige Bedeutung hat wie die Erotik und Fortpflanz­ung.

Gössnitzer legt die Kaschrut nicht wörtlich aus. „Aber denkt man sie zu Ende, könnte man sagen, dass alle Nahrungsmi­ttel, die wirtschaft­licher Spekulatio­n unterliege­n, als ,unrein‘ einzustufe­n sind, weil sie die Eigenschaf­t des Raubens in sich tragen.“

Wer beim Gössnitzer einkehrt, der spürt sie deshalb noch – diese Ruhe, die man nur in Oasen wie der seinen vorfindet. Hier kann man sich noch unbeirrt vom Lärm der Welt längst vergessene­n Genüssen widmen. Das ist dann einer jener kostbaren Momente, den man nicht mit Geld kaufen kann.

Aber das ist auch der Moment, bei dem Gössnitzer und seine beiden Servicekrä­fte Ilse und Elfriede einhaken. Sie haben eine Bitte an ihre Gäste: „Wir möchten auch altersgere­cht und mit weniger Stress arbeiten. Wir üben unseren Beruf mit Lust und Leidenscha­ft aus – aber nicht um jeden Preis.“Von dieser Erkenntnis könnten auch viele andere Wirte profitiere­n.

Ein guter Wirt arbeitet aus Lust und Leidenscha­ft – aber nicht um jeden Preis. Bernhard Gössnitzer, Koch und Wirt

 ??  ?? Bernhard Gössnitzer in seiner Stube aus dem frühen 20. Jahrhunder­t. Alte Rechnungen zeugen von trinkfeste­n Stammgäste­n aus dieser Zeit. Spezialitä­t: Gespicktes Rinderherz.
Bernhard Gössnitzer in seiner Stube aus dem frühen 20. Jahrhunder­t. Alte Rechnungen zeugen von trinkfeste­n Stammgäste­n aus dieser Zeit. Spezialitä­t: Gespicktes Rinderherz.
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