Mit Herz und Verstand
Einkehr beim Gössnitzer im Innviertel. Oder wie man mit der Erkenntnis umgeht, dass Kochen unsere Natur ist.
Im Jahr 1474 wurde Giulia Farnese geboren. Sie machte sich als Mätresse von Papst Alexander VI. einen Namen. Im gleichen Jahr wurde Mahmud Pascha, der Großwesir des Osmanischen Reichs, hingerichtet. Er hatte sich geweigert, Flüchtlinge zu massakrieren. 1474 wurde auch der erste Kochbuch-Bestseller des Abendlands veröffentlicht. Bartolomeo Platina hat ihn in Venedig unter dem Titel De honesta voluptate et valitudine („Von der Eehrlichen, zimlichen, auch erlaubten Wollust des leibs“) verfasst. Er basiert auf den Rezepten des Leibkochs des Bischofs von Aquileia. Und auch wer vor der Eingangstür des Gasthofs Gössnitzer in Eggelsberg steht und den Blick nach oben richtet, der sieht die Jahreszahl 1474. Seit damals werden hier Reisende bewirtet. „Damals nannte man den Wirt noch Leutgeb“, sagt Bernhard Gössnitzer. Diese hätten lang als verschlagen gegolten. Solcher Leumund hafte der Branche noch heute an. Auch Gössnitzer könnte ein Buch über seine Wanderjahre in den 1970er- und 1980erJahren schreiben. Seit der gebürtige Kärntner vor fast 30 Jahren im Innviertel sesshaft wurde, betrachtet er selbstdarstellerische Wirte und Köche nur noch aus der Ferne. Er wirkt wie ein Philosoph, wenn er am Ruhetag in seinem Gastgarten sitzt. Zwischen Holunder und Hopfen, neben dem Buchs- und unter dem Nussbaum gleich neben der Blutbuche. Drinnen, im uralten Gasthof, befinden sich zwei behagliche Gaststuben. Die eine altertümlich mit Standuhr, Kachelofen und schweren Möbeln. Die andere vermittelt mit sonnigem Gelb und sattem Grün Eleganz und Nonchalance. Gössnitzer hat seit Jahren sein eigenes Betriebssystem. So gut wie alle Gerichte entstehen ausschließlich in Handarbeit. Er nennt das „Handkraft“. Die Eggelsberger Jäger versorgen ihn mit Wild, Fischer bringen Waller, Saiblinge und Zander. Federvieh, Rind, Schwein, Obst und Gemüse gibt es von Bauern aus der Gegend. Das Innviertel ist ein Schlaraffenland, ähnlich wie die Bresse in Frankreich oder die Maremma in der Toskana. Und mit Gössnitzer hat das Innviertel eine Art Hohepriester der Kochkultur bekommen. Allein schon für sein selbst gebackenes Brot würde sich die Anreise lohnen. „Fabriksbrot“und Teiglinge zum Aufbacken sind tabu. Gössnitzer stuft Fertig- und Halbfertigprodukte als Körperverletzung ein. Er sagt, Brot braucht Wasser, Brauhefe, Mehl und Salz. Sonst nichts. Auch das Speiseeis macht er selbst. Wer nach dem „Warum“fragt, dem liest er als Beispiel die Zutaten von handelsüblichem Speiseeis vor: Himbeersaftkonzentrat (10%), Glukosesirup, Kokosfett, Molkenerzeugnis, fettarmer Kakao, Säuerungsmittel (Citronensäure), Stabilisatoren (Johannisbrotkernmehl, Carrageen), Aromen, Rote-Bete-Saftkonzentrat, Farbstoffe (Carotin, Kurkumin), Emulgatoren (Mono- und Diglyceride von Speisefettsäuren, Ammoniumphosphatide). Kann Soja enthalten. Dann zeigt er uns seine Zutaten: Milch, Zucker, Fruchtpüree und Säfte.
Gössnitzer sagt, es sei immer besser, gesünder und billiger, wenn man Kochen als Handwerk begreife. Sein Maßstab ist der Gleichklang mit der Natur. In diesem Zusammenhang spricht er von „Formerstattung“und akusmatischem Kochen. Für ihn ist das keine Geschäftsidee, sondern ein Lebensentwurf. Ziemlich beeindruckt sei er auch nach dem Lesen der Kaschrut gewesen. Das sind die jüdischen „religionsgesetzlichen Vorschriften“, die bei der Zubereitung von Speisen anzuwenden sind. Da wird die Nahrungsaufnahme als eine Art göttlicher Akt beschrieben. Gössnitzer nennt das ein „geheiligtes Bestreben“. Womit Essen für ihn dieselbe wichtige Bedeutung hat wie die Erotik und Fortpflanzung.
Gössnitzer legt die Kaschrut nicht wörtlich aus. „Aber denkt man sie zu Ende, könnte man sagen, dass alle Nahrungsmittel, die wirtschaftlicher Spekulation unterliegen, als ,unrein‘ einzustufen sind, weil sie die Eigenschaft des Raubens in sich tragen.“
Wer beim Gössnitzer einkehrt, der spürt sie deshalb noch – diese Ruhe, die man nur in Oasen wie der seinen vorfindet. Hier kann man sich noch unbeirrt vom Lärm der Welt längst vergessenen Genüssen widmen. Das ist dann einer jener kostbaren Momente, den man nicht mit Geld kaufen kann.
Aber das ist auch der Moment, bei dem Gössnitzer und seine beiden Servicekräfte Ilse und Elfriede einhaken. Sie haben eine Bitte an ihre Gäste: „Wir möchten auch altersgerecht und mit weniger Stress arbeiten. Wir üben unseren Beruf mit Lust und Leidenschaft aus – aber nicht um jeden Preis.“Von dieser Erkenntnis könnten auch viele andere Wirte profitieren.
Ein guter Wirt arbeitet aus Lust und Leidenschaft – aber nicht um jeden Preis. Bernhard Gössnitzer, Koch und Wirt