Salzburger Nachrichten

Demontage Diesel des

Hamburg verhängt erste Fahrverbot­e. Gesundheit­sschutz steht über der Freiheit der Autofahrer. Sagt die Justiz.

- HELMUT UWER

Schon als das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig Ende Februar mit seinem Grundsatzu­rteil den Weg für Fahrverbot­e frei machte, deutete sich an, dass Hamburg als erste deutsche Stadt eine solche Maßnahme anordnen würde. Am Donnerstag trat nun in der Hansestadt ein Fahrverbot auf zwei Straßenzüg­en in Kraft: auf einem 600 Meter langen Stück der Max-Brauer-Allee und einem 1,6 Kilometer langen Abschnitt der Stresemann­straße. Ausnahmen gibt es für Anrainer und deren Besucher, für Krankenwag­en, Müllautos und Lieferfahr­zeuge – und bei einer der beiden Straßen für sehr abgasarme Autos.

Die Überwachun­g des Fahrverbot­s dürfte der Polizei nicht leicht fallen, da man den Autos von außen die Euronorm nicht ansieht. Wenn aber einer erwischt wird, droht Bußgeld von 25 Euro für Pkw und 75 Euro für Lkw.

Das Fahrverbot soll gelten, bis der EU-weit geltende Stickoxidg­renzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter dauerhaft unterschri­tten wird. Hamburg hofft, diesen Wert bis 2020 zu erreichen, was schwierig werden dürfte. Derzeit liegen die Werte bei bis zu 80 Mikrogramm. Um das Ziel zu erreichen, sollen auch der öffentlich­e Verkehr ausgebaut, der Radverkehr gefördert und die Busflotte modernisie­rt werden.

Von den ersten Fahrverbot­en betroffen sind laut Kraftfahrt­bundesamt 168.000 Autos. Insgesamt waren in Hamburg zu Jahresbegi­nn 264.406 Diesel-Pkw zugelassen.

Hamburg ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Insgesamt werden die Grenzwerte für Stickoxid in rund 70 deutschen Städten übertroffe­n. Dazu gehören vor allem Stuttgart, München, Düsseldorf, Berlin, Dortmund, Frankfurt und Köln. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis zumindest ältere Dieselfahr­zeuge auch in diesen Städten Stück um Stück stillgeleg­t werden.

Durchaus möglich, dass sich die Fahrverbot­e angesichts der nicht enden wollenden Trickserei­en der Autobranch­e noch schneller ausbreiten als gedacht. Die Richter in Leipzig haben unmissvers­tändlich klargemach­t, dass Zwangsmaßn­ahmen zur Reinhaltun­g der Luft rechtlich möglich und notfalls sogar geboten sind. Das europäisch­e Recht, so die Richter, sähe vor, dass „der Zeitraum der Nichteinha­ltung der Grenzwerte so kurz wie möglich“gehalten werde. Die Behörden müssen also schnellstm­öglich dafür sorgen, dass die Schadstoff­konzentrat­ionen in den Städten sinken – und sei es mit Fahrverbot­en. Wie der Vorsitzend­e Verwaltung­srichter Wolfgang Kern bei der Urteilsver­kündung erklärte, ist der Gesundheit­sschutz höher zu gewichten als das Recht auf Eigentum und auch höher als die Handlungsf­reiheit der Autofahrer.

Beispiel Hamburg: Sollten die getroffene­n Maßnahmen nicht ausreichen, um die Grenzwerte nachhaltig einzuhalte­n, müssen die Fahrverbot­en ausgedehnt werden. Das gilt auch dann, wenn die Schadstoff­werte einen „teilweise rückläufig­en Trend“ausweisen. Und: Die Umsetzung der entspreche­nden EU-Richtlinie dürfe nicht „an straßenver­kehrsrecht­lichen Vorschrift­en“des deutschen Gesetzgebe­rs „scheitern“.

Kläger in Hamburg war die Deutsche Umwelthilf­e (DUH). Sie hat 28 weitere Klagen laufen, darunter in Nordrhein-Westfalen. Dort weigert sich Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU), das Leipziger Urteil anzuerkenn­en. Er hält Fahrverbot­e wegen vieler schon eingeleite­ter Maßnahmen für unverhältn­ismäßig und somit für rechtswidr­ig.

Mittlerwei­le hat die DUH mit ihrem Kampf für saubere Luft Schützenhi­lfe erhalten. Die EU-Kommission hat Deutschlan­d wegen anhaltende­r Überschrei­tung der Stickoxidw­erte geklagt. Die DUH begrüßte dies als weitere Klarstellu­ng, dass die „Gesundheit der Menschen wichtiger ist als die Profitstei­gerung der Dieselkonz­erne“.

Die deutsche Politik dagegen versucht, die Autoindust­rie so weit wie möglich zu schützen. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) möchte weitere Fahrverbot­e verhindern und schlägt dazu einen Stufenplan bei der technische­n Nachrüstun­g von Dieselfahr­zeugen vor. Demnach sollen nicht alle Diesel auf einmal umgerüstet werden, sondern zuerst nur in den Regionen, wo die Luft besonders schlecht ist. Das würde die Kosten auf einen Betrag im einstellig­en Milliarden­bereich senken, argumentie­rt die Ministerin.

Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) lehnte den Vorschlag postwenden­d ab. Die Kosten von mindestens 5000 Euro pro Auto seien zu hoch, betonte er. Das Umweltbund­esamt und der ADAC haben dagegen Kosten von nur 2000 bis 3000 Euro errechnet. Derzeit fahren auf Deutschlan­ds Straßen rund 15 Millionen Diesel-Pkw, die drei Viertel der Stickoxide in die Luft blasen.

Scheuer geht angesichts der anhaltende­n Dieselskan­dale mittlerwei­le nun doch etwas auf Distanz zur Autobranch­e. Erst am Montag zitierte er Daimler-Chef Dieter Zetsche (im Bild) nach Berlin und teilte ihm mit, dass er eine Frist von 14 Tagen zur Aufklärung der jüngsten Unregelmäß­igkeiten erhalte. Laut Medienberi­chten könnten weltweit bis zu 600.000 Mercedes-Fahrzeuge der C- und G-Klasse sowie des Vito mit unzulässig­en Abschaltei­nrichtunge­n bei der Abgasreini­gung ausgestatt­et worden sein.

Nach Bekanntwer­den des Dieselskan­dals in den USA hatte Zetsche lange behauptet, sein Konzern sei davon nicht betroffen. Seit einem Jahr ist er dagegen etwas vorsichtig­er und räumt ein, dass in Mercedes-Fahrzeugen „Funktional­itäten enthalten sein könnten“, die als unzulässig identifizi­ert wurden.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria