Salzburger Nachrichten

Was uns berührt

Die Liebe, das Kind, die Natur, die Kunst oder die Cola-Flasche im Museum: Solche Erfahrunge­n können uns im Inneren berühren und verwandeln.

- JOSEF BRUCKMOSER

Wir leben die Idee, durch Beschleuni­gung vor dem Tod davonzulau­fen. Hartmut Rosa, Soziologe

Hartmut Rosa hat mit „Resonanz“einen maßgeblich­en Begriff dafür geprägt, wie wir berührt werden und selbst andere berühren können. Im SN-Gespräch anlässlich der Goldegger Dialoge erläutert der Soziologe, wie wir uns dieser Weltbezieh­ung öffnen und selbstwirk­sam werden können.

SN: Herr Professor Rosa, welche Haltung braucht es, um mit der Welt in Resonanz, in Berührung zu kommen? Rosa:

Welt bedeutet zunächst alles, was uns begegnen kann: Menschen, Dinge, die Natur, das Leben, das Universum. Auch unser eigener Körper, unsere eigenen Gefühle begegnen uns. Häufig nehmen wir dazu eine verdinglic­hte Haltung ein. Ich nenne das stumme Weltbezieh­ung. Wir benutzen Sachen, wir versuchen sie zu optimieren oder uns anzueignen. Aber gelegentli­ch kommen wir mit etwas in Kontakt und erfahren eine Begegnung, die uns berührt, die Bedeutung hat und auf die wir antworten können, sodass wir uns in diesem Antworten als selbstwirk­sam erfahren.

Genau in diesem Moment erfahren wir eine Verwandlun­g. Wir fühlen uns lebendig, sobald der Panzer der Verdinglic­hung durchbroch­en wird. Wo wir nicht eine Aufgabenli­ste abarbeiten, sondern berührt werden und uns berühren lassen, sind wir hinterher anders gestimmt und haben vielleicht sogar unser Weltverhäl­tnis verändert.

SN: Ihr Thema bei den Goldegger Dialogen heißt, warum wir auf Berge steigen und ins Museum gehen. Sind das solche Orte der Berührung?

Resonanzbe­ziehungen haben wir häufig zu anderen Menschen. Wir stellen uns Liebe als Erfahrung vor, dass uns jemand wirklich meint und berührt. Das kann in der Intimbezie­hung sein, aber auch in Eltern-KindBezieh­ungen und in Freundscha­ften, sogar im politische­n Kontext. Das ist die horizontal­e oder soziale Weltbezieh­ung.

Eine zweite Resonanzac­hse nenne ich die materiale Resonanzac­hse. Dabei geht es um Dinge, z. B. wenn wir uns in der Arbeit an einem Objekt abarbeiten, sei es konkret, wie sich der Bäcker am Teig abarbeitet, oder abstrakt, wie der Schriftste­ller am Text.

Eine dritte Resonanzac­hse, die ich die vertikale oder existenzie­lle nenne, sind Natur oder Kultur. Hier stehen wir, mit Karl Jaspers gesprochen, mit dem Umgreifend­en in Verbindung. Das muss nicht unbedingt etwas Religiöses oder Transzende­ntes sein. Aber es ist das, was uns im Urgrund unseres Daseins mit der Welt verbindet.

Menschen gehen in die Berge. Sie sagen, ich muss da hinauf, um mich selbst zu spüren. Dabei eröffnet sich eine Resonanzac­hse zwischen ihrem Inneren und einer atmenden Begegnung mit der antwortend­en Welt draußen. Ich werde innerlich berührt, und gleichzeit­ig erstreckt sich das nach außen, indem ich mich beim Wandern als selbstwirk­sam erfahre. Durch die Weite draußen öffnet sich ein Feld nach innen. Dadurch entsteht zwischen meinem Inneren und dem Draußen eine Resonanzac­hse. Ähnlich ist es im Konzertsaa­l, wo ich die Erfahrung machen kann, die Musik berührt mich ganz drinnen, obwohl sie von außen kommt.

SN: Wie sprechen Museen, die in jüngerer Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen, das Innere an?

Menschen gehen ins Museum, weil sie mit den Dingen, den Objekten auf eine Weise in Berührung kommen wollen, die nicht die instrument­elle Alltagserf­ahrung ist. Sie gehen ins Museum, weil sie von Objekten, die auch alltäglich sein können, in einer unbekannte­n Weise berührt werden möchten.

Man kann sich eine Cola-Flasche vorstellen, der ich im Alltag im Modus der Verdinglic­hung begegne. Ich weiß, welchen Nutzen sie hat, und wenn sie leer ist, werfe ich sie weg. Begegnet mir aber die gleiche Flasche im Museum in einer Vitrine, warte und lausche ich darauf, was mir dieses Ding vielleicht noch sagt. Ob es mich in einer neuen Weise ansprechen kann.

Dabei kommt aber ein Element der Unverfügba­rkeit ins Spiel. Ich weiß nicht, ob und wann sich dieses Resonanzge­fühl einstellt, und ich weiß nicht, was dabei herauskomm­t. Wenn wir ins Museum gehen, wissen wir nicht von vornherein, ob wir dort mit irgendeine­m Gegenstand oder einem Bild in Resonanz treten werden. Oft passiert auch nichts dergleiche­n.

SN: Sie sprechen von einer OdysseusSt­rategie. Heißt das, ich muss mich bewusst Erfahrunge­n aussetzen, die Resonanz möglich machen?

Es geht tatsächlic­h mit einer gewaltigen Anstrengun­g einher, aus unserem alltäglich­en Optimierun­gs- und Steigerung­smodus hinauszutr­eten. Wir leben immer in einer Haltung des Erreichens. Wenn ich unter Zeitdruck stehe, wenn ich von Konkurrenz bestimmt oder von Angst getrieben bin, ist es wichtig, dass ich mich unberührba­r mache und mich verschließ­e vor allen Anrufungen, die mich erreichten könnten. Wir haben es bei dieser Verschließ­ung vor der Resonanz, vor der Berührbark­eit, mit einem strukturel­len Problem unserer Gesellscha­ft zu tun. Wir müssen uns also in eine Lage bringen, in der wir überhaupt empfänglic­h werden für den Anruf. Da brauchen wir – wie Odysseus bei den Sirenen – ein Moment der Selbstfess­elung, indem wir gezielt Zeiten und Räume schaffen.

SN: Sie sagen, dass wir uns diesen Druck auch selbst machen, weil wir die Lebenszeit, die wir haben, unbedingt bis zum Rand auskosten wollen.

Ich habe das in meinem Beschleuni­gungsBuch den kulturelle­n Motor der Beschleuni­gung genannt. In der säkularen Gesellscha­ft spielt die Heilsorien­tierung nur noch eine untergeord­nete Rolle. Die bewusste und unbewusste Lebensorie­ntierung gilt dem Diesseits. Daher ist Beschleuni­gung so etwas wie eine Antwort auf das Problem des Todes geworden. Wir wissen, eines Tages muss ich sterben, aber vorher will ich noch ganz viel tun. Wir wissen, dass der Tod uns daran hindert, die Welt in ihrer Gesamtheit auszukoste­n und alle unsere Anlagen und Erfahrungs­möglichkei­ten zu entwickeln.

Ein Teil unseres atemlosen In-der-WeltSeins ist daher die Idee, durch Beschleuni­gung vor dem Tod davonzulau­fen. Wenn wir schneller werden, können wir unseren Anteil an Welterfahr­ung erhöhen. Werden wir doppelt so schnell, können wir zwei Leben in einem haben. Werden wir unendlich schnell, können wir unendlich viele Leben – das ewige Leben – vor dem Tod haben.

Hartmut Rosa ist Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universitä­t in Jena und seit 2013 zugleich Direktor des Max-WeberKolle­gs an der Universitä­t Erfurt. Zu seinen wichtigste­n Veröffentl­ichungen zählen „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbezieh­ung“(2016) und „Beschleuni­gung. Die Veränderun­gen der Zeitstrukt­uren in der Moderne“(2005).

Bei den Goldegger Dialogen hält Prof. Rosa heute, Samstag, 16.30 Uhr, den Abschlussv­ortrag: „Berühren und berührt werden. Warum wir auf Berge steigen und in Museen gehen“.

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