Zwei Einsame kehren heim
Mit einem bisher einzigartigen Gastspiel schließt sich ein Kreis zwischen Salzburg und New York.
Der Zufall hat geholfen, dass zwei Cowboys aus Wyoming nun doch noch einem New Yorker Publikum vorstellen, wie leicht man sein Glück verpassen kann. Dank einer Salzburger Inszenierung wird die Oper „Brokeback Mountain“über die bittere Einsamkeit zweier homosexueller Männer in einer gnadenlos puritanischen Gesellschaft mit fast zehnjähriger Verzögerung dort gespielt, wofür sie komponiert worden ist.
Dass eines Tages in seinem Postfach eine Anfrage des Direktors der New York City Opera aufploppen sollte, hätte er nicht einmal zu träumen gewagt, gesteht der Intendant des Salzburger Landestheaters, Carl Philip von Maldeghem. Andrerseits hatte der Absender, Michael Capasso, damals keine Ahnung, dass die von ihm gesuchte Inszenierung aus einem weiteren Grund als seine ursprüngliche Intention ideal in seinen Spielplan passt.
Zunächst habe er ein Stück mit Blick auf den in New York zum „LGBT Pride Month“erklärten Monat Juni gesucht, erzählt Michael Capasso. Der heuer am 24. Juni angesetzte legendäre New Yorker
„Wir wollten die Salzburger Produktion.“Michael Capasso, Operndirektor
Pride March wird von vielen „LGBTevents“umrankt, wobei LGBT für „lesbian, gay, bisexual, and transgender“steht. Und er wolle in den acht Produktionen, die er pro Saison herausbringe, zwei Konstante: „one LBGT-opera, and one Spanish opera“. Denn etwa 25 Prozent der New Yorker sprächen Spanisch.
Wie beträchtlich der Einwohneranteil von Schwulen in New York ist, wurde am Donnerstagabend in der Premiere der „Original production of the Salzburg State Theatre Salzburg“am geringen Frauenanteil bemerkbar – dafür da ein betagtes, händchenhaltendes Männerpaar, dort ein schnittiger Herr mit zackigen Absätzen, arg engen Jeans und Cowboyhut oder als Sitznachbar ein Herr mit feiner Smokinghose, weinrot glitzerndem Seidenhemd und damenhafter schwarzer Kette.
Mit besagter E-Mail begann das erste US-amerikanische Gastspiel in der 125-jährigen Geschichte des Salzburger Landestheaters – noch dazu an guter New Yorker Adresse, wo der Broadway den Columbus Circle durchquert: im Rose Theater des Lincoln Centers, aus dessen Foyer das Publikum über den Central Park auf die Upper East Side schaut. Einen Steinwurf entfernt in die eine Richtung ist die Metropolitan Opera, in die andere Richtung ist die Carnegie Hall, wo übrigens noch eine Salzburger Bekannte vom Plakat schaut: Mirga Gražinytė-Tyla, Gewinnerin des Young Conductors Award 2012 der Salzburger Festspiele und bis 2017 Musikdirektorin des Salzburger Landestheaters, hat vor Kurzem hier dirigiert.
Das erste New Yorker Gastspiel des Salzburger Landestheaters kam nicht nur als das zustande, was beide Intendanten loben: „eine extrem unbürokratische Kooperation“, wie Maldeghem sagt, sowie ein Beispiel für Michael Capassos Arbeitsphilosophie: „When things go together easily, then it’s easily a good thing.“Entscheidend war die Fürsprache des Komponisten Charles Wuorinen. Der plädierte für die Salzburger Inszenierung: Die sei schlicht und komme – anders als jene in Madrid und Aachen – den Intentionen des Stückes am nächsten. Noch mehr: Er präferierte für New York auch die für Salzburg geschaffene Kammerfassung.
Wie kam die Oper zustande? Nach Besuch des mit drei Oscars prämierten Kinofilms „Brokeback Mountain“habe er die dem Film als Basis dienende Kurzgeschichte von Annie Proulx gelesen und deren „opernhaftes Potenzial“erkannt, schildert Charles Wuorinen. Als Gerard Mortier, damals designierter Intendant der New York City Opera, von der Idee erfuhr, gab er bei ihm die Komposition in Auftrag. Aber noch während der Vorbereitungen für den 2009 geplanten New Yorker Antritt, sagte Mortier wieder ab.
Michael Capasso schildert diese fatale Zeit für die 1943 gegründete New York City Opera, die übrigens der emigrierte Österreicher Julius Rudel von 1957 bis 1979 zur höchsten Blüte gebracht hatte, wie folgt: Das Direktorium habe Mortier die Verdoppelung des Budgets von 35 auf 70 Mill. Dollar versprochen, dies aber nicht einhalten können. Andrerseits habe Mortier sich geweigert, Spielpläne eines etwaigen Vorgängers umzusetzen, sodass die Oper zwei Jahre geschlossen gewesen sei. Und Mortier sei zwar großartiger visionärer Gestalter von Opernspielplänen gewesen, doch „not a natural fundraiser“, erläutert Michael Capasso. „He had rich friends throughout New York“, doch habe er sich als einer der ihren gefühlt, und es wäre ihm peinlich gewesen, sie um Geld zu fragen.
Weil aber Haus, Orchester und Chor weiterzubezahlen gewesen seien, weil zudem Mortiers Nachfolger keine gute Hand gehabt hätten, sei die New York City Opera 2013 insolvent geworden. Als er davon aus der Zeitung erfahren habe, sei er entsetzt gewesen, erzählt Michael Capasso. „Ich bin mit dieser Oper aufgewachsen!“Seit er zehn oder elf Jahre gewesen sei, habe er Hunderte Aufführungen besucht. Die Metropolitan Opera gehöre der Welt, so wie die Vereinten Nationen international seien. Doch die City Opera gehöre den New Yorkern. Noch heute gelte der Gründungsanspruch: „affordable tickets“. Die teuerste Karte koste 150 Dollar, aber es gebe Hunderte Tickets unter 50 Dollar, viele um 20 Dollar. Möglich wird dies einzig durch Mäzene. Von ihnen muss Capasso etwa drei Viertel seines subventionslosen Budgets erbitten; nur 25 bis 30 Prozent entfallen auf Karteneinnahmen.
In zweijährigem Ringen habe er die New York City Opera aus der Insolvenz gezogen und 2016 mit „Tosca“die Wiederauferstehung eingeleitet, sagt Michael Capasso. Jetzt allerdings besteht die traditionsreiche Institution nur noch aus ihm und acht Mitarbeitern, die von einem Büro im 25. Stock des Carnegie Hall Tower in der 57. Straße alle Produktionen aufstellen: Probenräume wochenweise mieten, das Rose Theater tageweise mieten, Orchester, Chor und Sänger produktionsweise engagieren.
Das Bühnenbild für „Brokeback Mountain“wurde in den Werkstätten des Landestheaters in Aigen an die New Yorker Bühne angepasst, gemeinsam mit Kostümen von Eva Musil per Schiff nach New York geliefert und dort von Salzburger Bühnentechnikern eingerichtet. Der 2016 in Salzburg engagierte Regisseur Jacopo Spirei hat die New Yorker Wiederaufnahme betreut.
Zurück zu Gerard Mortier: Dieser nahm nach seiner Absage in New York das Projekt mit nach Madrid, wo er ab 2010 das Teatro Real leitete. Die Uraufführung von „Brokeback Mountain“im Jänner 2014 sollte die letzte Premiere unter seiner Ägide werden, bevor er am 8. März 2014 starb. Kurz vor der Madrider Premiere habe ihm Mortier noch ans Herz gelegt, diese Oper in Salzburg aufzuführen, erzählt Carl Philip von Maldeghem, der während Mortiers Intendanz bei den Salzburger Festspielen dessen Assistent gewesen war. „Das habe ich ernst genommen.“Eigentlich hätte er gedacht, mit der Salzburger Inszenierung sei dieses Vermächtnis erfüllt. Doch dann kam Michael
„Interesse für Hochkultur schwindet.“Charles Wuorinen, Komponist
Capassos E-Mail, sodass diese Oper dort gespielt wird, wofür Charles Wuorinen sie komponiert hat.
Es sei enttäuschend, dass „Brokeback Mountain“erst jetzt an ihrem Bestimmungsort angelangt sei, gibt der Komponist zu. Er fühle sich wie der Prophet, der im eigenen Land nicht gehört werde. Überhaupt seien Opernspielpläne in den USA altmodisch und konservativ. Im vorherrschenden Populismus überlebe nur Unterhaltung auf niedrigstem Niveau. „Das obere Ende der Kultur wird abgeschnitten.“Er fürchte, dies stehe auch in Europa bevor.