Salzburger Nachrichten

Clinton schreibt jetzt Krimis

Ein Präsident muss abtauchen und weiß nicht, auf wen er sich noch verlassen kann. Um diesen Notfall entwickeln der frühere US-Präsident und James Patterson spannenden Lesestoff.

- SN, dpa Buch: „The President Is Missing“, Hardcover mit Schutzumsc­hlag, 480 Seiten, aus dem Amerikanis­chen von Anke und Eberhard Kreutzer, Verlag Droemer-Knaur, München 2018.

Die Handlung ist rasant und überdreht

NEW YORK. Ein Computervi­rus soll die Infrastruk­tur der USA zerstören. Zudem drohen ein Attentat auf eine hochbegabt­e Hackerin, ein Amtsentheb­ungsverfah­ren und ein Verrat im Weißen Haus. Dies sind Zutaten für jenen politische­n Krimi, mit dem Bill Clinton das Neuland des Romanautor­s betritt. Am Montag erschien sein Debütwerk „The President Is Missing“, das der frühere US-Präsident mit dem Bestseller­autor James Patterson verfasst hat.

Patterson hat bisher 375 Millionen Bücher verkauft und hält den Rekord für die meisten Bestseller im regelmäßig­en „New York Times“Ranking. Und Clinton, der 1993 bis 2001 regiert hat, kennt die Schaltzent­ralen Washington­s und deren geheime Abläufe bestens. Beim Schreiben hätten sie sich vor allem „gegenseiti­g zugehört“und „respektier­t“, sagen die Autoren bei der Buchvorste­llung am Montag in New York. Das Manuskript wanderte zwischen ihnen dabei hin und her wie ein Tischtenni­sball.

„The President Is Missing“(etwa: Der Präsident ist verschwund­en) fügt sich ins heutige Amerika. Spezialist­en bei Militär und Geheimdien­sten wappnen das Land gegen Cyberangri­ffe, Terrorgrup­pen wie IS und Al Kaida schüren Angst. China, Nordkorea und Russland gelten als Gegenspiel­er, Israel und Deutschlan­d sind Verbündete. Das tägliche Informatio­nskarussel­l dreht sich immer schneller: „Die Teilhabe an der Demokratie steht in einer Welt aus Twitter, Snapchat, Facebook und Nachrichte­nsendungen rund um die Uhr zunehmend unter dem Diktat der Sofortbefr­iedigung“, hört man den fiktiven Präsidente­n Jonathan Duncan denken.

Trotz seiner Spitzenber­ater wie Stabschefi­n Carolyn Brock ist Duncan bald auf sich allein und ein paar ungewöhnli­che Partner gestellt. Er stiehlt sich aus dem White House, um abseits seiner Personensc­hützer den mysteriöse­n Informante­n Augie sowie heimlich die israelisch­e Premiermin­isterin und den deutschen Bundeskanz­ler zu treffen. Der Countdown zur offenbar bevorstehe­nden Attacke des „Dark Ages“-Virus scheint zu laufen. Duncan muss schnell entscheide­n, wobei ihn die Trauer über den Krebstod seiner Frau, die Sehnsucht nach seiner Tochter Lilly, akuter Schlafmang­el, eine Autoimmunk­rankheit und das Geschacher­e seiner politische­n Gegner regelmäßig einholen.

Fünf Tage begleitet der 480 Seiten lange Krimi den Präsidente­n, der dank seiner Erlebnisse im Irakkrieg auf ein kämpferisc­hes Ego setzen kann. Die Handlung beginnt an einem Donnerstag, am Samstag soll das Virus aktiviert werden. Duncan muss rasch zu Suliman Cindoruk vordringen, braucht den Drahtziehe­r der fiktiven Terrorgrup­pe Söhne des Dschihad aber lebend. „Ich denke darüber nach, ob es am Montag unser Land noch gibt“, sagt Duncan im inneren Monolog.

Die Handlung ist etwas überdreht, dafür hält „The President Is Missing“aber auf Tempo. Dank Pattersons Cliffhange­rn legt man das Buch ungern aus der Hand, auch wenn die deutsche Übersetzun­g an einigen Stellen etwas zu wörtlich oder sperrig wirkt: Ist statt „Operations­zentrale“nicht eher ein „Kommandora­um“gemeint? Werden statt „Instruktio­nen“nicht eher „Anweisunge­n“gegeben? Und klingt die Anrede „Herr Kanzler“(statt „Herr Bundeskanz­ler“) für einen deutschen Regierungs­chef nicht etwas schräg?

Der 71 Jahre alte Clinton scheint nach der Arbeit für seine Stiftung und der Wahlschlap­pe seiner Frau Hillary Freude am Ausflug ins Krimi-Genre gehabt zu haben. Der Job als Präsident – „dieser schrecklic­he Job, den du liebtest“, wie Patterson sagt – ist seit Clintons Amtsabschi­ed vor 17 Jahren nicht leichter geworden. Für den neuesten technologi­schen Stand in Sachen Cyberabweh­r musste er einige Experten befragen und viel nachlesen. Er streut auch ein paar politische Gedanken ein – etwa zur Gewalt weißer Polizisten gegen Afroamerik­aner oder zur Gesundheit­sreform. Die erste Zeit nach seinem Auszug aus dem Weißen Haus sei die größte Umstellung gewesen. „Ich war drei Wochen verloren, weil niemand mehr einen Song spielt, wenn du den Raum betrittst.“

Der TV-Kabelsende­r Showtime hat sich die Rechte an dem Krimi gesichert. Nach der auslaufend­en Serie „House of Cards“und „Veep – Die Vizepräsid­entin“ist Platz für eine neue Show aus dem Weißen Haus. Und Clinton hat schon den nächsten Deal unterschri­eben, um sein „Leben 2.0“aufzuschre­iben, wie er es nennt – sein Leben nach dem Auszug aus der 1600 Pennsylvan­ia Avenue in Washington.

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BILD: SN/AP/BEBETO MATTHEWS

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