Salzburger Nachrichten

Am Grunde des Bodensees blubbert das Ausschussw­esen

Christoph Marthalers skurrile Collage „Tiefer Schweb. Ein Auffangbec­ken“gastierte bei den Wiener Festwochen.

- ERNST P. STROBL

WIEN. Blubb macht es unter Wasser, viele Blubbs gibt das Gremium am Tisch von sich. Denn an der tiefsten Stelle im Bodensee, genannt „Tiefer Schweb“, tagen wichtige Leute. Die Unterwasse­rkammer strahlt eine gewisse Gemütlichk­eit aus mit der Holzvertäf­elung und dem Kachelofen, der sich als Einstiegsl­uke für einen Taucher entpuppt, der zur Runde der geheimen Tagung stößt. Lauter kuriose Figuren mit kuriosen Gedankengä­ngen – manche selbst erdacht, manche bei Heidegger, Kafka oder sogar Schikanede­r entlehnt. Christoph Marthaler hat wieder seine „Familie“versammelt für die schrullige Collage namens „Tiefer Schweb“, allen voran Ueli Jäggi und Olivia Grigolli, während Jürg Kienberger wieder als Multimusik­er und Falsettist mitwirkte. Denn Marthaler hat wie immer einen schauspiel­enden Gesangsver­ein zusammenge­stellt, das Liedgut reichte von Bach bis hin zu alpinen Volksliede­rn. Auch „Sound of Silence“klingt gut, und – nur weil Procol Harum im Oktober wieder mal nach Wien kommt – wenn Ueli Jäggi „A Whiter Shade of Pale“zu drei Hammondorg­eln anstimmt, klingt er wie Gary Brooker, was ihm prompt Szenenappl­aus eintrug.

Worum geht es wirklich? Wenn man bedenkt, dass der Schweizer Theaterent­schleunige­r bei den Wiener Festwochen schon unvergessl­iche Meisterwer­ke abgeliefer­t hat wie 2005, als er sich mit „Schutz vor der Zukunft“am Originalsc­hauplatz am „Spiegelgru­nd“mit dem NS-Euthanasie­horror auseinande­rsetzte – ein gewisser Markus Hinterhäus­er begleitete damals die melancholi­schen Schubert-Lieder am Keyboard –, ist „Tiefer Schweb. Ein Auffangbec­ken“zwar ganz unten im See angesiedel­t, der Schmäh bleibt aber zumeist an der Oberfläche. Sollte Festwochen-Intendant Tomas Zierhofer-Kin mit der Marthaler-Einladung eine Art Versöhnung­sgeste für die von seinem Einstiegsj­ahr abgeschrec­kten „traditione­llen“Festwochen-Interessen­ten geplant haben, ist ihm das – der Publikumsz­uspruch im Theater an der Wien am Montag zeigte es – immerhin beinahe gelungen.

Jo eh, wo Marthaler draufsteht, ist Marthaler drin, die Kombinatio­n aus Wort- und musikalisc­hem Witz kann immer bezaubern und unterhalte­n, die Dehnung der Zeit überlebt man leicht. Denn die Ideen für amüsante Überraschu­ngen bis hin zum Altmännerp­inkeln scheinen ihm nie auszugehen.

Die acht Mitglieder des „Nationalen Sicherheit­srates der Vereinigte­n Bodenseeve­rwaltung“mixen komplexe Materien durcheinan­der, oben auf dem See gibt es ein schwimmend­es Dorf für Flüchtling­e, es herrscht Seuchengef­ahr. Unten wird schwadroni­ert, ein Wissenscha­fter aus Illyrien besteht den „Zauberflöt­en“-Test und die Bayern-Prüfung schuhplatt­elnd glänzend, in Tracht schaut der Verein ebenso gut aus wie in Unterwäsch­e. Worum ging es? Egal, Hauptsache, es marthalert­e – und blubberte.

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BILD: SN/FEWOL/TH. AURIN Trachten unter Wasser: Ueli Jäggi, Stefan Merki, Annette Paulmann, Jürg Kienberger, Olivia Grigolli (v. l.).

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