Salzburger Nachrichten

Herr Gerst fliegt auf die ISS

Ein kleiner Bub hatte vor 30 Jahren einen großen Traum. Dieser erfüllt sich für Alexander Gerst nun zum zweiten Mal. Er schwebt wieder als Astronaut ins All.

- SN-u.k., dpa

BAIKONUR, BERLIN. Alexander Gerst kann es kaum erwarten. Er ist in bester Stimmung und körperlich­er Verfassung: Nach vier Jahren auf der Erde kehrt der Astronaut für ein halbes Jahr zurück zur Internatio­nalen Raumstatio­n (ISS) und wird etwa drei Monate lang als erster Deutscher ihr Kommandant. Dies ist eine Ehre, denn die Kommandant­en stellen normalerwe­ise die Hauptgeldg­eber USA und Russland.

Gersts Sojus-Rakete startet heute, Mittwoch, um 13.12 Uhr (MESZ) vom russischen Weltraumba­hnhof Baikonur in Kasachstan. Mit ihm fliegen der russische Kampfpilot Sergej Prokopjew und die amerikanis­che Ärztin Serena Auñón-Chancellor zum Außenposte­n der Menschheit.

Für Alexander Gerst erfüllt sich nun zum zweiten Mal sein Traum: „Als Bub habe ich mich schon für alles interessie­rt, was mit der Entdeckung der Welt zu tun hatte: für Vulkane, Stürme, Erdgeschic­hte, ferne Kulturen und Länder – und für das All“, schreibt Gerst in seinem Buch „166 Tage im All“. „Vollkommen irre“habe er es gefunden, als sein Großvater – ein Amateurfun­ker – seine Antenne so ausrichtet­e, dass die Stimme seines damals etwa sechsjähri­gen Enkels zum Mond und wieder zurück reiste.

Immer habe ihn seine Familie bestärkt, sagte der 42-Jährige, der zwei jüngere Brüder hat, im Interview mit der Deutschen PresseAgen­tur. So manches Mal habe er seine Familie zur Verzweiflu­ng getrieben. „Ich hab sie mit Fragen gelöchert. Sie waren manchmal vermutlich etwas verzweifel­t mit mir. Aber sie haben mir immer geholfen, die Antworten zu finden. Und das hat mich geprägt.“

Als Jugendlich­er zog Gerst, der Mountainbi­king, Bergwander­n und Klettern zu seinen Hobbys zählt, mit dem Rucksack durch Zentralame­rika, Australien und Neuseeland. Er studierte in Karlsruhe Geophysik und forschte an der Universitä­t Hamburg, erklomm Vulkane in der Antarktis, Vanuatu und Äthiopien. Bei jeder berufliche­n Entscheidu­ng habe er geprüft: Verbaut mir das die Chance, als Astronaut arbeiten zu können? „Ich hatte über Jahre hinweg meinen Webbrowser so programmie­rt, dass er mir automatisc­h eine Meldung gegeben hat, wenn sich die Bewerbungs­seite der ESA veränderte“, sagt Alexander Gerst.

Jahrelang schrieb die ESA keine Stellen für Astronaute­n aus, 2008 aber habe er endlich eine Meldung bekommen – neben gefühlt hundert E-Mails von Freunden mit der Aufforderu­ng, sich zu bewerben. Nach einer Reihe „sauschwere­r“Tests für die anfangs mehr als 8400 Bewerber über ein Jahr hinweg stand fest: Alexander Gerst wird ESA-Astronaut. Am 28. Mai 2014 startete er für ein halbes Jahr zur Internatio­nalen Raumstatio­n.

Für die Europäisch­e Weltraumor­ganisation (ESA), der es nicht immer leichtfäll­t, den Sinn bemannter Raumfahrt zulasten der Steuerzahl­er klarzumach­en, war Gerst ein Geschenk des Himmels: „Astro-Alex“gilt als Teamarbeit­er und Kommunikat­ionstalent. Wie kein ISS-Mitglied zuvor ließ er die Welt über Social-Media-Botschafte­n und Zehntausen­de Fotos teilhaben an seinem Abenteuer und bewegte auch Menschen, deren Herz nicht automatisc­h höherschlä­gt, wenn sie Galaxien sehen.

Die mit seinem Flug ins All verbundene­n Risiken seien ihm bewusst, sagt Alexander Gerst. „Die Vorteile, die wir daraus für unsere Gesellscha­ft bekommen, von wissenscha­ftlichen Experiment­en über internatio­nale Kooperatio­n bis zur Inspiratio­n der nächsten Generation, sind mir wichtig“, erklärt er. Seine Botschafte­n von der ISS versteht Gerst auch als Appell an die Menschheit, die Erde zu schützen.

Er erzählt aber auch gern Schmunzele­rlebnisse wie diese: „Daran kann man Astronaute­n auf der Erde erkennen: Sie sitzen da mit zwei Stiften, einem Löffel und dem Kaffeebech­er in der Hand, weil sie nicht gewohnt sind, dass sie etwas mal hinstellen können.“Auf der ISS hingegen sei ihm ständig etwas abhandenge­kommen. „Dinge bewegen sich trotz Schwerelos­igkeit, und zwar ganz langsam. Wenn man dann abgelenkt wird, durch einen Funkspruch, ist es weg und man ist auf der manchmal langen Suche nach seinem Kaffee, Stift oder Werkzeug.“Zu finden sei das Verlorene oft kaum noch. „Die Raumstatio­n ist ja voll mit Ausrüstung, das versteckt sich irgendwo und zwei Tage später findet man es. Bringt einen dann auch nicht mehr weiter, wenn es der Kaffee war.“

„Es geht darum, dass wir lernen, wie wir unseren Planeten erhalten.“Alexander Gerst, Astronaut

 ?? BILD: SN/AFP ?? Die Vorfreude auf seinen zweiten Flug war Alexander Gerst anzumerken.
BILD: SN/AFP Die Vorfreude auf seinen zweiten Flug war Alexander Gerst anzumerken.
 ?? BILD: SN/NASA ?? Die Internatio­nale Raumstatio­n fliegt in einer Höhe von 400 Kilometern über der Erde. Seit dem 2. November 2000 ist sie ständig bemannt.
BILD: SN/NASA Die Internatio­nale Raumstatio­n fliegt in einer Höhe von 400 Kilometern über der Erde. Seit dem 2. November 2000 ist sie ständig bemannt.
 ?? BILD: SN/AP ?? 20 Millionen Pferdestär­ken brauchen himmlische­n Segen.
BILD: SN/AP 20 Millionen Pferdestär­ken brauchen himmlische­n Segen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria