Salzburger Nachrichten

Regierungs­ausflug nach Brüssel

Bei der Stippvisit­e der Regierung in die EU-Hauptstadt ging es um Inszenieru­ng und Zeichen im Vorfeld des EU-Ratsvorsit­zes. Die Inhalte sind für die Regierung schon klar und nicht ganz unkontrove­rsiell.

- MONIKA GRAF

BRÜSSEL. Als Österreich 2006 die EU-Ratspräsid­entschaft innehatte, gab es das noch nicht. Mittlerwei­le kommt es öfter vor, dass Regierungs­mitglieder nach Brüssel reisen, kurz bevor sie für sechs Monate den Vorsitz der EU-Staaten übernehmen. Dass die gesamte politische Führungsma­nnschaft in die EU-Hauptstadt fliegt, dort einen Ministerra­t abhält und die EUKommissi­on zu einem Arbeitsmit­tagessen trifft, wie die österreich­ische türkis-blaue Regierung gestern, Mittwoch, ist trotzdem etwas Besonderes.

In Österreich­s EU-Botschaft in Brüssel ist die Anwesenhei­t aller 16 Regierungs­mitglieder – Kanzler, 13 Minister, zwei Staatssekr­etäre – jedenfalls fast mehr als das nüchterne, funktional­e Gebäude fassen kann. Und der Konvoi aus Kleinbusse­n, der die Delegation von fast 50 Leuten vom Flughafen gebracht hat und quasi in dritter Spur parkt, sorgt sofort für Stau.

Die Verschöner­ung des Gebäudes ist gerade noch zeitgerech­t abgeschlos­sen worden. Dass die Empfangsrä­ume im ersten Stock zu niedrig und zu klein sind, um die rund 200 Mitarbeite­r der ständigen Vertretung aufzunehme­n, die seit Monaten neben ihrer normalen Arbeit den EU-Ratsvorsit­z vorbereite­n, daran ließ sich nichts ändern.

Beschlosse­n wurde bei dem – aufgrund einer Flugverspä­tung sehr kurzen – Ministerra­t nichts, weil das rechtlich im Ausland nicht möglich ist. Es war aber der Anlass, um das Arbeitspro­gramm für den in drei Wochen beginnende­n EU-Vorsitz offiziell zu präsentier­en. Die großen Linien hat Bundeskanz­ler Sebastian Kurz bereits mehrfach dargelegt: Unter dem Motto „Ein Europa, das schützt“wolle sich Österreich im zweiten Halbjahr vor allem als Brückenbau­er einsetzen und Spannungen abbauen helfen, sagte Kurz. Beim besonders kontrovers­iellen Thema Flüchtling­e wolle er „neue Wege gehen“und sich „auf das fokussiere­n, wo wir einer Meinung sind“, also den Außengrenz­schutz. Die EU-Grenzschut­zagentur Frontex müsse sowohl personell als auch finanziell gestärkt werden und brauche ein klares Mandat.

Den Ausbau von Frontex sieht auch die EU-Kommission im Budgetplan für 2021–2027 vor. Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker betonte beim gemeinsame­n Auftritt mit Kurz, für ihn sei „der Schutz der Außengrenz­en wichtiger als alle anderen untergeord­neten Fragen“. Wenn das funktionie­re, „dann werden sich andere Fragen erübrigen“, sagte er, ohne die umstritten­en Flüchtling­squoten konkret zu nennen. Die EU müsse in der Frage „salopp gesagt zu Potte kommen“. Das Thema wird beim Gipfel am 20. September in Salzburg auf der Tagesordnu­ng sein, sollte es im Juni keine Lösung geben.

Insgesamt soll das Gespräch der Regierungs­vertreter mit den EUKommissa­ren sowie das Vier-Augen-Gespräch zwischen Kurz und Juncker (danach kam auch noch Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache dazu) recht „intensiv“verlaufen sein, hieß es in Brüssel. Differenze­n gibt es vor allem bei der Finanzplan­ung, weil Österreich gegen einen größeren EU-Haushalt auftritt.

Die Verhandlun­gen über den EUHaushalt sind der größte Brocken, der in den EU-Vorsitz fällt (für den Brexit gibt es eigene Stukturen). Die EU-Kommission drängt auf einen raschen Abschluss bis zum Frühjahr des nächsten Jahres – was aber als aussichtsl­os gilt. Kurz betonte erneut, hier gehe Qualität vor Schnelligk­eit.

Juncker lobte den Besuch und nimmt „einen guten Eindruck von der Gesamtregi­erung“mit. Er habe „nach den Gesprächen mit Bundeskanz­ler und Vizekanzle­r den Eindruck, dass die österreich­ische Regierung es ernst meint mit dem Satz, sich definitiv in einen proeuropäi­schen Kurs einzuweise­n“. Bei er Debatte über den Finanzrahm­en gebe es „unterschie­dliche Wahrnehmun­gen“, aber kein endgültige­s „Disputthem­a“.

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sind nicht immer einer Meinung

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